COVID-19 ist mehr als eine Lungenkrankheit. Bereits heute sind sich Mediziner einig, dass auch andere Organe wie Herz und Nieren beteiligt sein können – ebenso wie das zentrale Nervensystem. Belastbare Beweise für den exakten Pathomechanismus fehlen jedoch. Das könnten wissenschaftliche Studien klären. Als Datengrundlage dafür entsteht an der Universität Gießen derzeit ein bundesweites Register. Die Biobank sammelt Proben aus dem zentralen und peripheren Nervensystem von gestorbenen COVID 19-Patienten.
Sars-CoV-2 bedeutet häufig mehr als Husten und Fieber: Viele Menschen, die an COVID-19 erkranken, leiden auch unter Schwindel, Kopfschmerz sowie schweren Beeinträchtigungen des Geruchs- und Geschmackssinns. Eine Untersuchung aus dem chinesischen Wuhan zeigt sogar bei jedem dritten Patienten neurologische Symptome. Zudem haben Forscher die Erbsubstanz von SARS-CoV-2 in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit nachgewiesen. Doch ob und was die Coronaviren in den Nervenzellen auslösen, ist bisher nicht genau erforscht.
Die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie e.V. (DGNN) hat deshalb ein deutschlandweites Register mit humanen Proben aus dem zentralen und peripheren Nervensystem (ZNS, PNS) bei COVID-19-Obduktionen initiiert. Die Biobank mit dem Namen CNS-COVID-19, die als Teil des “Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu COVID-19” beantragt wurde, wird vom Institut für Neuropathologie, dessen Leiter Prof. Dr. Till Acker zugleich Vorstandsvorsitzender der DGNN ist, und dem Institut für Medizininformatik der Justus-Liebig-Universität Gießen aufgebaut. Mit in der Organisation involviert ist auch das MIRACUM-Konsortium (Medical Informatics in Research and Care in University Medicine), das im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MI-I) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird und an dem alle drei Mitgliedshochschulen des Forschungscampus Mittelhessen beteiligt sind.
Mit Hilfe der neuen Biobank sollen Wissenschaftler nun Zugriff auf Zellen und Daten haben, um eine mögliche ZNS-Beteiligung detailliert morphologisch, molekular und klinisch zu untersuchen und die Entwicklung einer SARS-CoV-2-Infektion besser zu verstehen. So ist zum Beispiel nicht bekannt, bei welchen klinischen Verläufen und in welcher Häufigkeit das ZNS bei COVID-19 involviert ist. Deshalb ist auch eine enge Zusammenarbeit mit der PanN3-Initiative der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) vereinbart worden, die neurologische Begleiterkrankungen bei COVID-19 untersucht.
Das Register wird mit anderen COVID-19-Patientenregistern vernetzt. „Das Register wird der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt“, betont Prof. Dr. Till Acker. Neben ihm sind von der Universität Gießen beteiligt: Prof. Dr. Henning Schneider und Prof. Dr. Keywan Sohrabi (beide Medizinische Informatik), PD Dr. Jan de Laffolie (Pädiatrie), PD Dr. Anne Schänzer (Neuropathologie) und Prof. Dr. Christiane Herden (Veterinär-Pathologie). Zudem gehört Prof. Dr. Axel Pagenstecher (Neuropathologie) von der Philipps-Universität Marburg mit zum Team.
Alle Beteiligten hoffen auf eine schnelle Umsetzung, da ein ähnliches Register für Kinder und Jugendliche mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bereits existiert.