Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Wissenschaftler rund um den Globus forschen deshalb aktuell zu Herzschwäche, Infarkten, Lungenhochdruck oder Atherosklerose. Ihr Ziel: besser verstehen, was sich auf molekularer Ebene bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen abspielt. Es geht darum die Zusammenhänge im Gen-Netzwerk zu entschlüsseln und neue Ansätze zu Prävention, Diagnostik und Therapie zu entwickeln.
Kein technischer Motor kann mit dem Leistungsvermögen unseres Herzens mithalten – im Laufe eines Menschenlebens schlägt es etwa drei Milliarden Mal und fördert damit mehr als zwei Millionen Liter Blut durch den Körper. Ohne stillzustehen und ohne regelmäßige Wartung.
Erkrankungen des Herzens, unseres wichtigsten Muskels, sind in der allgemeinen Wahrnehmung gut zu behandeln. Sie stellen aber seit vielen Jahren weltweit die häufigste Todesursache dar und gehören damit zu den großen Volkskrankheiten. Viele Forschungsgruppen weltweit arbeiten daran neue Erkenntnisse zu gewinnen, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiter einzudämmen. Im Fokus der Grundlagenforscher: Die Genetik hinter der Erkrankung entschlüsseln. Die Wissenschaftler wollen noch besser verstehen, was sich auf molekularer Ebene bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen abspielt.
Grundlegende Fragen der molekularen Herz-Kreislauf-Forschung:
- Welche Gene sind verändert und wie werden sie abgelesen?
- Welche molekularen Signalwege und Botenstoffe sind am Krankheitsgeschehen beteiligt?
- Wie reagieren Zellen und Gewebe?
Aus den Antworten darauf lassen sich neue Diagnostikmethoden und neue Ansatzpunkte für Therapien ableiten. Ihr eigentliches Ziel ist die personalisierte Medizin: Durch die Auswertung großer Datenmengen lassen sich individuelle Charakteristika von Herzerkrankungen frühzeitig erkennen und dadurch auch individuell therapieren.
Herzinfarkt: Eine dauerhafte Herausforderung
Das am meisten gefürchtete Ereignis unter den kardiologischen Erkrankungen ist der Herzinfarkt. Dass es immer weniger schwere Infarkte mit tödlichen Folgen gibt führen Experten unter anderem darauf zurück, dass es immer besser gelingt, hohen Blutdruck zu senken.
Aber auch andere Aspekte haben die Forscher im Visier, um die Entstehung von Herzinfarkten zu verhindern. Schlüssel dazu sind die Plaques, die sich durch Fettablagerungen in den Wänden der Herzmuskelgefäße bilden. Wenn diese Plaques aufbrechen, lagern sich Blutplättchen an, wodurch die Gefäße verstopfen und es zum Infarkt kommt.
Dieser Vorgang – Atherosklerose genannt – ist ein chronisch entzündlicher Prozess, an dem auch immunkompetente Zellen beteiligt sind. In westlichen Ländern ist Atherosklerose die häufigste Krankheits- und Todesursache dar. Im Jahr 2016 starben deutschlandweit 440 Frauen im Alter von 55 bis 60 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes (Myokardinfarktes). In der gleichen Altersgruppe lag die Zahl verstorbener Männer mit 1.820 Verstorbenen mehr als vier Mal so hoch. Von den insgesamt in Deutschland in diesem Jahr an einem Herzinfarkt Verstorbenen entfielen 28.130 Todesfälle auf Männer und 20.539 auf Frauen. Aktuelle Projekte der Herz-Kreislauf-Forschung beschäftigen sich deshalb damit, die Bedeutung der Wachstumsfaktoren und Zellen, die an Artheriosklerose beteiligt sind, besser zu verstehen. Denn ließen sich Bildung und Aufbrechen der krankhaften Plaques stoppen, würde es gar nicht erst zum Herzinfarkt kommen.
Zudem arbeiten Wissenschaftler daran, nach einem überstandenen Herzinfarkt die Pumpleistung des Herzens bestmöglich wieder herstellen zu können. Denn bei einem Infarkt sterben Zellen im Herzen ab und es entstehen Narben, die seine Funktion beeinträchtigen. Wissenschaftler arbeiten daran, die Herzregeneration nach einem Infarkt zu verbessern: So deuten Untersuchungen daraufhin, dass bestimmte Zellen des Immunsystems dabei eine zentrale Rolle spielen, die durch Signalmoleküle gesteuert werden. Gäbe es die Möglichkeit, diese Signale zu aktivieren, könnte es vielversprechende Optionen für die Behandlung des Herzinfarkts eröffnen.
Wie entsteht Arteriosklerose?
Herzrhythmusstörungen: Das Herz stabil halten
Einen weiteren Forschungsschwerpunkt stellen die Herzrhythmusstörungen dar. Sie beeinträchtigen nicht nur erheblich die Lebensqualität. Im Falle des Vorhofflimmerns können sie auch tödlich enden, wenn es aufgrund von Blutgerinnseln im Vorhof zu einem Schlaganfall kommt. Aber bislang verstehen die Forscher die zugrunde liegenden elektrophysiologischen Mechanismen, die das Herz aus dem Takt bringen nur ansatzweise. Mittlerweile werden in Veröffentlichungen aber zunehmend genetische Defekte beschrieben, die zu erblichen Formen der Erkrankung führen. Ein tieferes Wissen über den Zusammenhang zwischen genetischem Defekt und Entstehung des Vorhofflimmerns verspricht neue Einblicke in grundlegende Mechanismen der Krankheitsentstehung.
Die Herzschwäche – auch Herzmuskelschwäche oder Herzinsuffizienz genannt, steht ebenfalls besonders im Fokus der Forscher. Das geschädigte Herz kann nicht mehr ausreichend Blut durch den Körper pumpen, die Folge ist eine deutlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Das Fortschreiten der Erkrankung kann zwar gestoppt werden, doch derzeit gibt es keine ursächliche Behandlung und somit auch keine Heilung. Zwar wissen die Forscher, dass die Herzmuskelzellen verändert sind, doch was sich bei dem Krankheitsprozess auf molekularer Ebene abspielt, ist noch nicht ausreichend bekannt. Aus dem direkten Vergleich des genetischen Profils und der Proteinmuster von Zellen aus gesundem und krankem Herzgewebe versprechen sich die Wissenschaftler wegweisende Erkenntnisse mit dem Ziel, molekulare Therapieansätze zu entwickeln, die dort angreifen, wo die Ursache für die Schwäche der einzelnen Herzmuskelzellen entsteht.
Wissenschaftler und Mediziner suchen auch nach Wegen, ein schwaches Herz wieder zu regenerieren. Hierbei geht es darum, krankes Herzgewebe durch neue Herzzellen zu ersetzen, die mit im Labor aus Stammzellen gezüchteten werden.
Bei Herzerkrankungen und deren Therapien gilt es allerdings auch, nicht isoliert allein das Organ „Herz“ zu betrachten, sondern Begleiterkrankungen – so genannte Komorbiditäten – weiterer Organe wie Niere und Lunge im Blick zu haben. Denn mit abnehmender Nierenfunktion steigt das Risiko für eine Herz- Kreislauferkrankung so wie umgekehrt eine Herzkrankheit zu einer eingeschränkten Nierenleistung führen kann, da Herz und Niere in physiologisch enger, wechselseitiger Beziehung stehen. Ebenso wie Herz und Lunge, die über das Gefäßsystem aneinander gekoppelt sind: Es gibt enge Zusammenhänge zwischen Erkrankungen des Herzens und der Lunge, da sich Herz- und Lungensystem gegenseitig beeinflussen. So haben beispielsweise chronische Lungenerkrankungen oder Gefäßveränderungen bei Lungenhochdruck Auswirkungen auf das Herz.
Das Herz: Teil des Teams statt Einzelkönner
Ein bedeutendes Gebiet, um Diagnose und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiter zu verbessern, ist nicht zuletzt auch die Erforschung und Entwicklung von spezifischen Biomarkern. Sie helfen, Erkrankungsrisiken frühzeitig, wenn möglich bereits vor Auftreten der ersten Symptome zu erkennen und umgehend therapeutische Maßnahmen ergreifen zu können. Auch der Krankheitsverlauf kann mittels geeigneter Biomarker beurteilt werden. So gehört die Biomarker-Entwicklung zu den Schwerpunktgebieten der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Dort bauen Wissenschaftler ein umfangreiches Patientenregister und eine Biomaterialdatenbank auf, um die Biomarker noch intensiver erforschen zu können.
Die Lungen- und Herzmedizin und das verbesserte Verständnis des Herz-Lungensystems, ist auch ein Schwerpunktgebiet des Forschungscampus Mittelhessen. Dort sucht man neue Ansätze für Prävention, Diagnose und Therapie. Wissenschaftler am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) und des von Gießen aus koordinierten Deutschen Zentrums für Lungenforschung erforschen beispielsweise Mechanismen, wie auf zellulärer Ebene eine Resistenz gegen Sauerstoffmangel entsteht. Sie wollen herausfinden wie sich eine Anpassung an Sauerstoffmangel, die bei vielen Herz-Kreislauf – und Lungenerkrankungen auftritt, beschleunigen lässt.
Bluthochdruck: ein genetischer Zusammenhang?
Weniger bekannt in der Öffentlichkeit ist der chronische Lungenhochdruck – auch Pulmonale Hypertonie genannt. Er ist eine bis heute lebensbedrohliche Erkrankung der Lunge und des Herzens. Forscher in Mittelhessen wollen diese schwere Lungenkrankheit besser verstehen und neue Ansätze für die Prävention, Diagnose und Therapie entwickeln. Deshalb fördert die Europäische Union ein neues innovatives Großprojekt zur Untersuchung der molekularen Grundlagen des Lungenhochdrucks: Dr. Soni Savai Pullamsetti, Molekularbiologin und Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim sowie am Institut für Innere Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), ist es gelungen einen der begehrten ERC Consolidator Grants des Europäischen Forschungsrats einzuwerben. Der Forschungspreis ist mit zwei Millionen Euro dotiert. Ihr Projekt „Restoring Roots“ soll es ermöglichen, die molekularen Mechanismen der Krankheit aufzuklären.
Dr. Soni Pullamsetti möchte nach Möglichkeiten suchen, wie die aktivierten Gefäßwandzellen so beeinflusst werden können, dass der Fortlauf der Erkrankung gestoppt oder sogar umgekehrt werden könnte. Sie wird dabei an die Hypothese anknüpfen, dass bei der Entstehung des Lungenhochdrucks molekulare Prozesse ablaufen, die bereits während der Embryonalentwicklung aktiv waren. „Im Zusammenhang mit dem Lungenhochdruck sind eine ganze Reihe von Entwicklungsgenen aktiv. Diese bilden ein Netzwerk und beeinflussen sich gegenseitig”, erklärt Dr. Soni Pullamsetti. Sie will diese Gen-Netzwerke entschlüsseln. Ihre Hoffnung: die zugrundeliegenden molekularen Prozesse besser zu verstehen und Anknüpfungspunkte für neue Therapien zu finden. Die Forscherin will mit den EU-Mitteln aber auch „nach neuen Biomarkern schauen, mit deren Hilfe die Erkrankung besser diagnostiziert werden könnte“, so Pullamsetti.
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