Patienten mit pulmonaler Hypertonie leben mit ständiger Luftnot. Heilbar ist die Erkrankung nicht, sie lässt sich nur lindern. Ein Forscher-Team am Deutschen Zentrum für Lungenforschung in Gießen untersuchte den Braunalgen-Extrakt Fucoidan zur Behandlung des Lungenhochdrucks und kam zu vielversprechenden Ergebnissen.
Bergsteiger erleben es, wenn sie hohe Gipfel erklimmen: Sie ringen nach Luft, weil der Sauerstoffgehalt abnimmt. Für Patienten mit Lungenhochdruck gehört diese Kurzatmigkeit zum Alltag – bereits geringste Anstrengungen bringen sie an ihre Belastungsgrenzen. Wenige Treppenstufen steigen und kurze Fußwege fühlen sich für die Erkrankten an wie Hochleistungssport.
„Charakteristisch für Lungenhochdruck, die pulmonale Hypertonie, ist der krankhaft erhöhte Blutdruck im Lungenkreislauf. Das führt zu Atemnot und verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit“, erklärt Prof. Dr. Ralph Schermuly vom Deutschen Zentrum für Lungenforschung am Fachbereich Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen.
In der Folge muss das Herz ständig und immer stärker gegen den Widerstand der durch die Krankheit verengten Gefäße anpumpen, um die Lunge gut zu durchbluten. Langfristig kommt es zu einer Herzmuskelschwäche und letztendlich zum Tod durch Herzversagen. „Das Organ schafft es einfach nicht mehr, genug Druck aufzubauen – und das, obwohl die Lungenfunktion normal ist und auch kein erhöhter Blutdruck vorliegt“, erklärt der Biologe und Lungenforscher.
Pulmonale Hypertonie – schwer zu diagnostizieren
Weil die Symptome der pulmonalen Hypertonie so unspezifisch sind, kann es etwa zwei Jahre bis zur Diagnose dauern. Ein Grund ist auch: Der Druck im Lungenkreislauf, der das Blut vom Herzen zur Lunge und wieder zurückbringt, ist schwer messbar. Verlässliche Werte erhalten Ärzte nur über eine Katheter-Untersuchung, indem sie einen dünnen Schlauch über die Halsvene und das Herz in die Lungenarterie führen und den Blutdruck direkt dort messen. Bei gesunden Menschen im Ruhezustand liegt dieser Wert bei etwa 15 mm Hg (Millimeter Quecksilbersäule). Bei Lungenhochdruck-Patienten sind die Werte etwa vier- bis sechsmal so hoch.
Es gibt fünf verschiedene Formen der pulmonalen Hypertonie. „Nimmt man alle zusammen, betrifft diese Krankheit letztlich 200 bis 300 Millionen Menschen weltweit“, sagt Schermuly. Auch wenn das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Diagnose bei etwa 50 Jahren liegt, können Menschen jeden Alters daran erkranken. Pulmonale Hypertonie ist bis heute nicht heilbar. Es gibt lediglich Medikamente, die die Beschwerden lindern und den Krankheitsverlauf verlangsamen.
Die Lunge – ein effizienter Gase-Manager
Etwa 300 Millionen Lungenbläschen, die eine Oberfläche von 100 bis 140 Quadratmetern zur Verfügung stellen, schleusen Sauerstoff (O2) in unseren Körper. Pro Minute ist das etwa ein halber Liter der lebenswichtigen Gasmoleküle. Die Lunge ist nicht ständig gleichmäßig belüftet: Kleine Schleimpfropfen belegen zum Beispiel Bereiche, in die kaum Sauerstoff beim Atmen gelangen kann. Würde das Blut durch diesen Teil fließen, könnten die roten Blutkörperchen auch keine O2-Moleküle aufnehmen – ein Sauerstoffmangel wäre die Folge. Deswegen hat die Lunge einen intelligenten Mechanismus entwickelt. Sie lässt das Blut nur dorthin fließen, wo die Lungenbläschen auch Luft tanken können, also O2 zur Verfügung steht. Das Atem-Organ kann diesen Mechanismus sekundengenau und effizient takten.
Wie Fucoidan in der Zelle wirkt
Bei einem neuen Therapieansatz setzen Schermuly und sein Team auf den Braunalgenextrakt Fucoidan. Im asiatischen Raum wird er seit Jahrhunderten als natürliches Heilmittel verwendet, weil er Entzündungen und Krebs vorbeugen und die Blutgefäße schützen kann. „Wir befassen uns mit der sogenannten hypoxischen pulmonalen Hypertonie, also einer Form, die Menschen betrifft, die zeitweise in großen Höhen ab etwa 3.000 Metern leben“, erklärt der Biologe.
Im Labor untersuchten die Forscher menschliche Zellen aus Lungengewebe und analysierten, welche Signalwege nach der Zugabe des Algenextraktes aktiviert werden. Auch die Zellvermehrung stand im Fokus der Gießener Experten. „Wir konnten feststellen, dass Fucoidan die Zellteilung unterdrückt – und das ist für den Krankheitsverlauf eine positive Nachricht“, sagt Schermuly. Denn in den Gefäßen von Lungenhochdruck-Patienten vermehren sie sich deutlich schneller – und sind auch gegenüber dem natürlichen Zelltod resistenter. Aus diesem Grund sprechen Experten von einem pseudomalignen Charakter, weil sich die Erkrankung ähnlich wie Krebs verhält.
Allerdings sind die Zellen nicht mutiert und es werden auch keine Metastasen gebildet. Die beschleunigte Zellteilung macht die Gefäßwände in der Lunge jedoch immer dicker, das verringert den Durchfluss und es gelangt weniger sauerstoffreiches Blut hindurch. Auf Dauer verstärken sich die beschriebenen Krankheitssymptome.
Algenextrakte helfen Lungengefäßen
Nach den vielversprechenden Zellexperimenten untersuchte das Team um Schermuly die Auswirkung von Fucoidan an Tieren. „Dazu haben wir Mäuse über mehrere Wochen unter Bedingungen gehalten, die einem Leben auf etwa 3.500 Metern Höhe entsprechen“, sagt der Biologe. Wie erwartet, erkrankten die Tiere an pulmonaler Hypertonie, der sich mit der Aufnahme von Fucoidan verbesserte. „Wir konnten nachweisen, dass die Lungengefäße dünner und gesünder blieben und auch das Herz besser pumpte“, erklärt er.
Wie häufig bei Naturstoffen spielen meist mehrere Mechanismen eine Rolle, die für die Linderung der Symptome verantwortlich sind. Einer davon hängt mit Entzündungsprozessen zusammen, bei dem das Protein p-Selectin beteiligt ist: Es sorgt während der Immunreaktion dafür, dass Entzündungszellen an der Gefäßwand hängen bleiben. Die Gießener Experten fanden heraus, dass der p-Selectin-Spiegel bei den Versuchstieren ebenso wie bei Lungenhochdruck-Patienten deutlich erhöht ist. „Wir vermuten, dass darüber auch die unerwünschte Zellteilung in den erkrankten Gefäßen angeregt wird“, sagt Schermuly. „Weitere Experimente mit Wirkstoffen, die ebenfalls p-Selectin hemmen, bestätigten, dass wir auf dem richtigen Weg waren.“
Das Deutsche Zentrum für Lungenforschung
Lungenkrankheiten gehören weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Die Erkrankungszahlen und Mortalitätsraten liegen weltweit auf Rang 2. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt vier Lungenkrankheiten zu den zehn häufigsten Todesursachen – jeder fünfte Todesfall wird durch eine Lungenkrankheit oder durch Folgen davon verursacht. Daher wurde im Jahr 2011 Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL e. V.) gegründet. Hier werden in internationaler Zusammenarbeit neue Ansätze für Prävention, Diagnose und Therapie von weit verbreiteten Lungenerkrankungen zu entwickelt. Im Fokus stehen unter anderem Asthma und Allergien, Mukoviszidose, Lungenentzündung und akutes Lungenversagen, Lungenhochdruck oder auch Lungenkrebs. In Mittelhessen befinden sich drei Forschungsstandorte: Gießen, Marburg und Bad Nauheim.
Patienten mit Lungenhochdruck behandeln
Seine erfolgreichen Untersuchungen führten bereits dazu, dass Ärzte der Gießener Uni-Klinik Patienten-Studien mit dem Braunalgenextrakt aufgenommen haben. Sie befassen sich mit der Langzeitwirkung von Fucoidan – in der Hoffnung, den Menschen, die an Lungenhochdruck leiden einen neuen Therapieansatz bieten zu können. Schermuly und sein Team untersuchen den Effekt der Algenextrakte nun auch auf die anderen Formen der pulmonalen Hypertonie – und er hat weitere Ideen für Therapieansätze aus der Natur. „Wir haben traditionelle asiatische Heilmittel schon immer auf dem Radar. Zudem kommen wir durch unsere Höhenstudien, die wir beispielsweise auch in Zusammenarbeit mit der Universität Lhasa in Tibet durchführen, in Kontakt mit Menschen, die über wohltuende Naturprodukte berichten“, sagt der Biologe, bei dem bereits Rosenwurz-Extrakte und Raupenpilze im Labor liegen, um ihre lungenschützende Wirkung zu studieren.
Ein weiterer Ansatz „made in Gießen“
Prof. Dr. Schermuly hat gemeinsam mit anderen Forschern einen weiteren, sehr erfolgversprechenden Behandlungsweg bei Lungenhochdruck gefunden. Sogenannte Zyklin-abhängige Kinasen (CDKs) sind bei Lungenhochdruckpatienten im Lungengewebe und in isolierten Zellen in hohen Konzentrationen zu finden – so sonst nur bekannt bei Brustkrebspatientinnen. Die Wissenschaftler setzten aus der Krebstherapie bekannte CDK-Inhibitoren ein. Diese hemmen die Wirkung von CDKs. Ihre Hypothese wurde mehr als bestätigt: Nicht nur der Krankheitsverlauf stoppte, auch krankhaft verengte Blutgefäße regenerierten. Die Forscher hoffen nun, den Leidensdruck der Patienten lindern zu können.