„Wir bilden die Schnittstelle zur Präzisionsmedizin”

Prof. Dr. Harald Renz ist ärztlicher Geschäftsführer der Uniklinik Marburg und zugleich Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie, Molekulare Diagnostik  am UKGM. Im Interview erklärt er die Bedeutung der individualisierten klinischen Diagnostik – Präzisions-Diagnostik – und deren aktuelle Herausforderungen.

Prof. Dr. Harald Renz, Fotocredit transQUER

Womit beschäftigt sich die Labormedizin? 

Prof. Renz: Mit Hilfe unserer Arbeit wollen wir immer besser verstehen, welche Mechanismen und Fehlregulationen auf zellulärer Ebene dazu führen, dass eine bestimmte Krankheit entsteht. Wir beschäftige uns vor allem mit chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Allergien, Asthma und Autoimmunerkrankungen, aber auch mit kardiovaskulären metabolischen Erkrankungen, also Stoffwechselstörungen – die auch zu den chronischen Erkrankungen gehören. Wenn wir die genauen Auslöser und Ursachen einer Krankheit kennen, können wir sogenannte Biomarker entwickeln und in unseren Tests einsetzen. Diese Biomarker-Diagnostik wiederum ist wichtig für die Wahl der passenden Therapie. 

Wie genau sieht Ihr Alltag im Kliniklabor aus?

Prof. Renz: Wir Labormediziner machen die gesamte In-Vitro-Diagnostik für unsere Patienten. Dafür untersuchen wir Biomaterialien wie Blut und Urin, aber auch Punktate und alle anderen Flüssigkeiten, die Patienten entnommen werden, um sie genauer zu untersuchen. Diese Basisversorgung leisten wir rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Denn bei Notfällen müssen wir lebensbedrohliche und schwere Erkrankungen sicher diagnostizieren. Aber auch vor operativen Eingriffen helfen unsere Untersuchungen, Risikopatienten zu identifizieren und Hinweise für prä- oder postoperative Maßnahmen zu geben. Außerdem kümmern sich unsere Speziallabore unter anderem um Tumor-, Allergie-, Entzündungs-, Stoffwechsel- und Hormon-Diagnostik. Zudem bieten wir unseren Patienten auch High-End-Diagnostik, etwa mittels Massenspektrometrie an, die es nur an wenigen Standorten in Deutschland gibt.

Was zählt zu den großen Herausforderungen in Ihrem Gebiet?

Prof. Renz: Das sind vor allem Logistik und die Datenverarbeitung. Denn wir bekommen täglich mehrere tausend Blutproben von Patienten aus unserem Marburger Klinikum, aber auch anderen Kliniken in der Umgebung. Das macht zusammen mehrere zehntausend einzelne Nachweise. Alle Daten müssen organisiert und verarbeitet werden. Die Vielzahl an Informationen, die wir hier zu jedem Krankheitsfall gewinnen, ermöglicht uns eine Art Krankheitslandkarte für jeden einzelnen Patienten. Wir sitzen also genau an der Schnittstelle zwischen Labor und Patient. Unsere Ergebnisse liefern die Grundlage für  den therapeutischen Ansatz, der ja heute immer mehr in Richtung Präzisionsmedizin geht.

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Mehr als 200 Schnittstellen allein hat das Labor-Informationssystem laut Renz am Institut für Laboratiumsmedizin am UKGM. Sie garantieren einen reibungslosen Ablauf und den Datentransfer von Einsendern, wie Ambulanzen und Stationen im Haus.

Wie genau erstellen Sie die Krankheitslandkarten, also die sogenannte Präzisions-Diagnostik?

Prof. Renz: Hier sind wir ganz eng eingebunden in MIRACUM, ein bundesweites Netzwerk für Medizininformatik an Universitätskliniken, in dem wir Forschungs- und Patientendaten miteinander verknüpfen und so einen Prototyp für die Konstruktion neuer Krankheitslandkarten erstellen. Hier besteht die Herausforderung darin, in sehr kurzer Zeit sehr viele Messungen an einer Patientenprobe durchzuführen. Das erfordert rasanten technologischen Fortschritt in der Biomedizin sowie große Investitionen in High-Tech-Geräte.

Die Digitalisierung hat bei Ihnen also längst Einzug gehalten? 

Prof. Renz: Absolut, denn wir haben auch noch eine zweite Dimension bei den Patientendaten: Viele Patienten sind bei uns über mehrere Wochen. Wenn wir Laborergebnisse über einen so langen Zeitraum – womöglich sogar aus der Intensivmedizin – erheben, müssen wir auch pathologische Veränderungen rechtzeitig registrieren. Wir werden hier in Zukunft immer mehr auf IT-unterstützte Systeme angewiesen sein. Schlagworte dafür sind Künstliche Intelligenz und elektronische Gesundheitsakte. Denn wir wollen die Patienten nicht nur bei ihrem Aufenthalt in unserem Haus optimal behandeln, sondern wir wollen auch wissen, wie es sonst um sie steht, bei wem sie in Behandlung sind und welche Medikamente sie nehmen. Das sind wichtige Informationen, die uns helfen unsere Patienten noch besser zu betreuen. 

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