Nachwuchs in Medizin und Pflege ist so gefragt wie selten. Mit zukunftsorientierten Ausbildungs- und Studienangeboten bietet Mittelhessen im Bereich Gesundheitswirtschaft vielversprechende Karrierechancen. Im Interview erklären Prof. Dr. Harald Renz, ärztlicher Geschäftsführer der Uniklinik Marburg und Prof. Dr. med. Holger Thiemann, Studiengangleiter Medizinisches Management der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), warum die Digitalisierung dabei so wichtig ist.
Immer weniger Absolventen wählen einen Beruf im medizinischen Bereich. Welche Ursachen hat das?
Prof. Harald Renz: Die meisten medizinischen Berufe sind nicht familienfreundlich. Deshalb sollten wir neue Studienkonzepte entwickeln – junge Frauen sollten auch die Möglichkeit haben, Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen. Teilzeitmodelle sind eine Möglichkeit. Das Problem: Die Ausbildung dauert dann bis zu zehn Jahren. Aus fünf Jahren Regelstudienzeit für den Facharzt, werden doppelt so viele. Für den Oberarzt kommen weitere hinzu. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, bedarf es dringend neuer familiengerechter Arbeitsmodelle.
Prof. Holger Thiemann: In der Vergangenheit akzeptierten Mediziner eine Arbeitswoche mit bis zu 80 Stunden als heroische Leistung. Heute achtet man auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance, die im Medizinbereich oft nur bedingt garantiert werden kann. Das macht diese Berufe zunehmend unattraktiv. Viele Ärzte möchten sich nicht selbstständig machen, bleiben z. B. in der Forschung, gehen in die Pharmaindustrie, Beratung, etc. Wir können jedoch den Mangel an praktizierenden Ärzten nicht ausgleichen.
Die Studiengänge im Fachbereich Gesundheit der THM setzen bei der Entlastung der Ärzteschaft an. Im Studiengang Medizinisches Management lehren wir nicht nur die administrativen Tätigkeiten, sondern vermitteln auch ein breites klinisches Wissen. Das reicht von Wirtschaft, Soziologie und Rechtswissenschaften über Gesundheitswirtschaft bis Anatomie und Physiologie.
Warum bietet gerade Mittelhessen gute Berufsaussichten im Medizinbereich?
Prof. Harald Renz: Durch das Universitätsklinikum Gießen und Marburg, zwei Universitäten und der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) sind wir bestens vernetzt. Wir sind eine sehr forschungsstarke Region, eng verwoben mit der Medizinwirtschaft. Es gibt viele hessische Unternehmen, die Hand in Hand gehen mit der Forschung und den Universitäten. In Kollaboration mit Ärzten werden hier viele medizintechnische Geräte entwickelt.
Steckbrief Medizinisches Management
- praxisnaher Studiengang: Vermittlung von theoretischem Wissen und Praxis
- Kernkompetenzen: Management, Projektmanagement, Betriebswirtschaft, medizinische Grundlagen
- organisatorische Aufgaben in der Gesundheits- und Pflegewirtschaft
- Studiengang eignet sich für Personen mit Fachhochschulreife oder Abitur
- innovativer Studiengang mit Perspektive
Was fasziniert Sie an Ihrem Fachbereich?
Prof. Harald Renz: Wir in der Labormedizin sind daran interessiert, Krankheiten zu verstehen. Wir wollen wissen, was die Fehlregulationen im Körper sind, die dazu führen, dass Menschen chronisch-entzündliche-Erkrankungen entwickeln. Es ist spannend zu erforschen, was die Ursachen dafür sind. Besonders ist für mich, den gesamten Kreislauf mitzuerleben: vom Krankheitsverständnis über Diagnostik bis hin zu Therapiekonzepten.
Prof. Holger Thiemann: Mich begeistert immer wieder die Verbindung zwischen Theorievermittlung im Bereich Medizin-Management und der Praxis. Unser Studienangebot unterscheidet sich von bisherigen, meist sehr theoretischen Studiengängen, mit geringem praktischen Bezug. Die Absolventen geben uns positives Feedback. Im Studiengang Medizinische Informatik warten drei bis vier Jobangebote auf jeden Absolventen. Viele Unternehmen in der Region bieten auch Themen für Bachelorarbeiten an. So entsteht ein Mehrwert für die Firma, der Praxisbezug der Arbeiten steigt und die Studenten haben danach gute Chancen in eine Festanstellung übernommen zu werden.
Steckbrief Medizinische Informatik
- Digitalisierung steht im Vordergrund
- Vermittelt werden Kenntnisse der allgemeinen Informatik, medizinische Grundlagen der Anatomie, Physiologie, Diagnose- und Therapieverfahren
- Anpassung der medizinischen Prozesse mit Werkzeugen aus der IT
- Berufsaussichten: Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, oder Soft- und Hardwarehersteller
- Innovativer Studiengang mit Perspektive
Was raten Sie Unentschlossenen bei der Berufswahl?
Prof. Harald Renz: Sie sollten sich ausprobieren in Praktika, um Einblicke in den Berufsalltag zu erhalten. Die Labormedizin bietet beispielsweise eine Reihe von Vorteilen: ein extrem familienfreundliches Umfeld, selbstständige Organisation im Labor und in der Medizin, keine hohe Belastung durch Bereitschafts- und Wochenenddienste. Hat man die Facharztausbildung durchlaufen, steht einer exzellenten Berufsperspektive nichts im Wege.
Prof. Holger Thiemann: Der Beruf sollte einem Spaß machen – man sollte nicht zuerst nach Verdienstmöglichkeiten schauen. Die Studienberatung kann helfen zu visualisieren, was einem liegt, welche Fähigkeiten man besitzt. Wir zielen darauf ab, anwendungsorientiert zu unterrichten – dann merkt man schnell, ob dieser Studiengang das Richtige für einen ist.
Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung für den Medizinbereich?
Prof. Harald Renz: Digitalisierung ist in der Medizin heute nicht mehr wegzudenken. Die Nachfrage ist gewaltig. An unserem Institut haben wir über 200 Schnittstellen mit unserem Laborinformationssystem, den verschiedenen Analyseplattformen und -geräten zu allen unseren Einsendern wie Ambulanzen und Stationen. Mit der elektronischen Gesundheitsakte können wir die Situation des Patienten viel besser einschätzen und die Historie erkennen. So sehen wir mit einem Klick, bei wem er in Behandlung ist, welche Medikamente er nimmt, ob es Wechselwirkungen mit anderen Mitteln gibt. Und künstliche Intelligenz erleichtert uns jetzt schon den medizinischen Alltag. Wir stehen dabei aber auch noch vor großen Herausforderungen. Aber ich bin überzeugt, dass KI künftig weit größere Aufgabenfelder übernehmen wird.
Prof. Holger Thiemann: Auch in den Krankenhäusern schreitet die Digitalisierung schnell voran – dort stehen enorme Transformationsprozesse an. Wir möchten das, was in anderen Industrien bereits Alltag ist, auch in die Medizinwirtschaft implementieren. Als Beispiel: Bei einem Notfall übermittelt die Software eines Tablets alle Patientendaten aus dem Krankenwagen direkt ins Krankenhaus. So sind die Ärzte bei Ankunft des Patienten optimal vorbereitet. Das sind die digitalen Projekte, die wir unterstützen wollen. Für deren Umsetzung braucht es erstklassig ausgebildete Fachleute. Unsere Studiengänge bereiten die Studierenden auf den digitalen Wandel vor und bilden sie bestens dafür aus.