Der Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (NTDs) wird durch die steigende Anzahl betroffener Menschen immer wichtiger. Auch industrialisierte Länder erkennen immer mehr die Relevanz und beteiligen sich aktiv am Kampf gegen die oft nur wenig erforschten Krankheiten. Hessen beteiligt sich am Kampf gegen Tropenkrankheiten vor allem mit dem LOEWE-Zentrum DRUID in Kooperation mit den hessischen Institutionen.
„Weltweit leiden mehr als eine Milliarde Menschen in 150 Ländern an armutsassoziierten und vernachlässigten Tropenerkrankungen (NTDs)”, erklärt Prof. Dr. Katja Becker, Professorin für Biochemie und Molekularbiologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und Sprecherin des LOEWE-Zentrums DRUID. „Vor allem Menschen, die in armen und ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern leben, sind von NTDs betroffen. Leider galt ihnen in den letzten Jahrzehnten aber nur sehr wenig Aufmerksamkeit in Bezug auf Forschung, Medikamenten- und Impfstoffentwicklung, Diagnose und Finanzierung.“
NTDs kommen vor allem unter tropischen und subtropischen Bedingungen vor. Ausgelöst werden sie von verschiedenen Mikroorganismen wie Viren, Bakterien, Parasiten oder Fungi. Auch unzureichende sanitäre Bedingungen, begrenzter Zugang zu sauberem Wasser und fehlender Schutz vor Überträgern unterstützen den Ausbruch und die Verbreitung der Erkrankungen. Neben den schlechten Bedingungen haben die betroffenen Menschen oft nur sehr schlechten Zugang zu Versorgungsmaßnahmen und entsprechenden Behandlungen.
Tropenkrankheiten sind eine ernste Gefahr
Bei Erkrankungen, die zu chronischen Beschwerden und Behinderungen führen, können viele Patienten nicht mehr arbeiten und ihre Familie ausreichend ernähren. Dennoch mangelt es bei vielen Betroffenen dringend an Unterstützung. Auch Kinder, die an einer dieser NTDs erkranken, oder deren Familien betroffen sind, können häufig nicht mehr regelmäßig in die Schule gehen. Dadurch ist nicht nur ihre körperliche Gesundheit beeinträchtigt, sondern auch die intellektuelle Entwicklung. NTDs verursachen somit massive soziale und ökonomische Verluste – diese kosten die Entwicklungsländer jährlich mehrere Milliarden Dollar. „Der Kampf gegen solche Krankheiten ist nicht nur aus medizinischen und humanitären Gründen wichtig“, so Becker. „Wir erhoffen uns mit der Bekämpfung der Krankheiten den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen und sozialer Ungerechtigkeit, Gewalt und Fluchtursachen ein Ende zu bereiten.“ Bisher gibt es für die Behandlung von NTDs nur wenig wirksame Medikamente. Zwar werden bereits verschiedene Medikamente eingesetzt, diese haben teilweise Nebenwirkungen. Zusätzlich erschwert die immer weiter voranschreitende Resistenz gegen verschiedene Wirkstoffe die Suche nach einem wirkungsvollen Heilmittel.
Interdisziplinäre Forschung
Um den Krankheiten den Kampf anzusagen, suchen mehr als 30 Forscher des LOEWE-Zentrums DRUID (Novel DRUg Targets against Poverty-Related and Neglected Tropical Infectious Diseases) nach neuen Medikamenten, Impfstoffen und Diagnosemöglichkeiten. Beteiligt an dem Projekt sind neben verschiedenen Universitäten in Hessen, das Paul Ehrlich Institut und die Technische Hochschule Mittelhessen. „Kooperation ist der Schlüssel zur Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente“, erklärt Becker. „Daher haben wir im LOEWE-Zentrum einen regen Expertise-Austausch zwischen den forschenden Experten. Wir arbeiten zusammen an mehr als 20 unterschiedlichen interdisziplinären Projekten. Der Austausch ist besonders wichtig: Bei der Entwicklung der Medikamente nutzen wir viele verschiedene Techniken von Infektionsmodellen über Proteinanalyse, struktureller Biologie und Synthese verschiedener Medikamente bis hin zur Optimierung vorhandener Medikamente. Durch die Vernetzung bieten wir unseren Forschern die Möglichkeit, projektübergreifend den entsprechenden Experten mit dem nötigen Know-How zu finden. Der Austausch, der dabei zwischen den Wissenschaftlern stattfindet, erzeugt Synergien. Es entstehen viele neue Ideen und das Projekt wird sichtbarer.“ Der Fokus der Gruppe von Prof. Dr. Katja Becker liegt beispielsweise auf der Untersuchung des zellulären Redoxstoffwechsels, um potenzielle Anwendungsgebiete neuer Medikamente zu identifizieren. Oxidativer Stress und Sauerstoffradikale können das empfindliche Zellgleichgewicht schädigen. Doch alle Zellen – auch Krankheitserreger – haben Abwehrmechanismen, um dies zu vermeiden. Um neue Therapieansätze zu ermöglichen, wird daher an der Entwicklung neuer Inhibitoren geforscht, welche die Abwehrmechanismen der Erregerzellen gezielt beeinträchtigen können.
„Asiatische Tigermücke schleppt Tropenkrankheiten ein“
Malaria galt in vielen Teilen Europas als besiegt. Aber Tourismus und Klimawandel führen zur Einwanderung von fremden Mückenarten und die invasiven Arten können auch ganz andere tropische Erreger einführen. Laborleiter Dr. Helge Kampen vom Institut für Infektionsmedizin (IMED) am Friedrich-Löffler Institut in Greifswald erklärt warum der Klimaerwärmung dazu führt, dass auch einheimische Mücken eine wachsende Gefahr darstellen.
Das ist zurückzuführen auf die Globalisierung und auch auf die Klimaerwärmung: Globalisierung begünstigt die Verschleppung von Stechmücken. Die Klimaerwärmung wiederum hilft wärmeliebenden Mückenarten, sich zum Beispiel in Deutschland festzusetzen und auszubreiten. Die Asiatische Tigermücke ist ein Beispiel dafür. Noch ist sie in Deutschland sehr lokal begrenzt. Die Mücke fliegt nicht weit und breitet sich deswegen nicht rasant aus. Das Klima ist nicht ideal und fördert nicht die Ausbreitung. Die Mückenart passt sich jedoch langsam an. In Italien zeigte sich, wie schnell eine Ausbreitung voranschreiten kann. Dort ist die Asiatische Tigermücke fast überall und in relativ hohen Populationsdichten zu finden.
Invasive Mücken tragen nicht grundsätzlich Viren oder Pathogene in sich. Beim Blutsaugen können sie sich jedoch infizieren und dieses Pathogen weitertragen. Die Wahrscheinlichkeit einer lokalen Übertragung wächst also mit der Populationsdichte von übertragenden Mücken und den auftretenden Infektionen bei Menschen. Häufig wissen infizierte Personen nicht direkt, wenn sie sich auf Reisen mit dem Dengue, Chikungunya oder Zika Virus infiziert haben. Wenn also fremde Mückenarten und tropische Krankheiten parallel eingeschleppt werden, können sich Tropenkrankheiten auch in Ländern der nördlichen Erdhalbkugel weiter ausbreiten.
Ein Infektionsgeschehen läuft besonders gut ab, wenn es warm ist: Mücken entwickeln sich rapide, die Blutverdauung beschleunigt sich und die Generationszeit nimmt ab. Viren und andere Erreger entwickeln sich rasanter und die Mücke ist viel schneller infektiös. Denn: Wenn eine Mücke sich infiziert, gelangt das Virus erstmals in den Darm. Von dort muss es dann durch den Körper der Mücke wandern bis in die Speicheldrüse. Viren werden immer beim Stich über den Speichel der Mücke übertragen. Die Wanderung des Virus vom Darm in die Speicheldrüse dauert eine Weile, denn der Virus vermehrt sich langsam von Zelle zu Zelle. Je wärmer es ist, desto schneller geht das. Wenn das Klima in Mitteleuropa noch wärmer wird, dann werden höchst wahrscheinlich auch einheimische Mückenarten zu Überträgern, wenn sie auf das richtige Virus oder Pathogen treffen.
Keine NTDs mehr bis 2030
Die Arbeit des Zentrums ist von internationaler Relevanz: Das Ausmerzen vernachlässigter Tropenkrankheiten ist eines der erklärten „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen. „Um zu erreichen, dass es bis 2030 keine NTDs mehr gibt, müssen wir gut netzwerken“, betont Becker.
„Wissenschaftler aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt müssen hierfür zusammenarbeiten. Auch zwischen dem akademischen und dem privaten Sektor muss eine Kooperation stattfinden. Besonders wichtig ist zudem, mit Menschen und Wissenschaftlern aus den betroffenen Ländern zusammenzuarbeiten, um vor Ort forschen zu können.“ Schlussendlich müssen auch der Pharmaindustrie Anreize geschaffen werden, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse in industrielle Anwendungen umsetzen. Nur so sind die Entwicklung und Einführung neuer Medikamente für den Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten möglich.
Was kann durch die Bekämpfung der NTDs zusätzlich erreicht werden?
- Positive Entwicklung von Ernährungsstandards
- Krankheitsbedingte Pflegebedürftigkeit verringern
- Wirtschaftliche Nutzung fruchtbarer und erregerfreier Ackerflächen
- Aufbau eines medizinischen Versorgungssystems
- Vermindertes Risiko bei anderen Krankheiten oder Geburten