Impfstoffproduktion in Marburg: Mit mRNA-Technologie gegen die Corona-Pandemie

Das Corona-Virus hält seit knapp zwei Jahren die Welt in Atem. Derzeit schauen alle vor allem auf die Omikron-Variante des Virus. Natürlich auch die Wissenschaftler des Impfstoff-Pioniers BioNTech. HCM hat mit zwei Experten über die Herausforderungen bei der Impfstoffentwicklung und die Produktion am Standort Marburg gesprochen.

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Wenn Virus-Varianten auftreten, heißt es für die BioNTech-Wissenschaftler und -Experten: den Verlauf und das Infektionsgeschehen der Corona-Pandemie genau zu beobachten. Gerade noch beschäftigte die Forscher vor allem die Delta-Variante des Virus, im November 2021 ist dann die Omikron-Variante in ihren Fokus gerückt. Zwar ermöglicht „eine dritte Dosis BNT162b2 (so der offizielle, internationale Name des BioNTech-Vakzins, Anm. der Red.) das höchste Level an schützender Wirksamkeit gegenüber allen bisher getesteten Varianten, einschließlich der Delta-Variante, wie BioNTech in einer Pressemitteilung (https://investors.biontech.de) schreibt. Dennoch beobachten die Wissenschaftler die „Situation aufmerksam und entwickeln eine angepasste Version des Pfizer-BioNTech COVID-19-Impfstoffs“.

Was heute so einfach und selbstverständlich klingt, bedurfte immensen Einsatzes und Durchhaltevermögens der BioNTech-Mitarbeiter. Dr. Andreas Kuhn, Senior Vice President RNA Biochemistry & Manufacturing, verantwortlich für Herstellprozess und Analyse der mRNA, erinnert sich an die Anfänge der Entwicklung: „Die Idee, dass die mRNA-Technologie für einen Impfstoff gegen das neuartige Corona-Virus genutzt werden könnte, kam sehr früh auf, im Januar, Februar 2020. Damals ahnten Experten schon, dass es zu einer Pandemie kommen könnte, die von dem Virus ausgelöst wird. Wir haben es als Aufgabe und Notwendigkeit gesehen, etwas zu tun.“

mRNA-Technologie hat Riesenpotenzial – auch über Corona hinaus

Die Pandemie hat BioNTech und andere Entwickler vor sich her getrieben, so Kuhn. „Unser großer Vorteil war, dass wir auf umfangreiches Wissen der mRNA-Technologie zurückgreifen konnten.“ Die BioNTech-Forscher prüften damals die Technologie bereits auf ihr Potenzial gegen andere Infektionskrankheiten. Es gab schon präklinische Daten zu Ebola und Influenza. Ebenso hatten die Wissenschaftler in der Krebsforschung erkannt, dass sich mit mRNA wirksame Immunantworten auslösen lassen. 

Schnell setzte BioNTech Studien in Gang, um die Wirksamkeit eines neuen Impfstoffs gegen das Corona-Virus zu prüfen. Und bereits mit den klinischen Daten war klar: Das Vakzin kann im Menschen eine Schutzwirkung entfalten. Die Phase 1 der Studie wurde Ende April, Anfang Mai 2020 gestartet. „Die immunologischen Daten, die wenige Wochen danach kamen, sahen sehr vielversprechend aus“, erinnert sich Kuhn. 

Mit dem Corona-Impfstoff hat man gezeigt, dass die mRNA-Technologie auch für Infektionskrankheiten funktioniert. Und auch für weitere Erkrankungen sehen die BioNTech-Experten großes Potenzial. „Grippe ist denkbar und eventuell auch HIV, Tuberkulose oder andere“, sagt Kuhn. Jetzt aber müsse sich die Technologie erst einmal im Kampf gegen Corona beweisen. 

Zusätzlich zu den laufenden Studien zum Corona-Vakzin setzte das Unternehmen bereits die Folgeschritte parallel in Gang: Die Experten warteten nicht ab, bis erste klinische Daten zur Wirksamkeit vorlagen. Bereits bevor klar war, ob das Vakzin funktionierte, begannen sie die Infrastruktur aufzubauen, um Millionen von Dosen davon herstellen zu können. 

Die Produktion hochzufahren war eine der größten Herausforderungen

In dieser Situation kam dem Mainzer Unternehmen zugute, dass es früh genug Kapazitäten aufgebaut hatte. Unter anderem mithilfe des ehemaligen Produktionsgebäudes des Schweizer Unternehmens Novartis in Marburg. Im September 2020 gab BioNTech den geplanten Kauf bekannt. (https://investors.biontech.de/news-releases/news-release-details/biontech-acquire-gmp-manufacturing-site-expand-covid-19-vaccine) So konnte eine der größten Herausforderungen der Impfstoffentwicklung gestemmt werden. „Wir mussten sicherstellen, dass wir großen Mengen an mRNA überhaupt herstellen können“, sagt Kuhn. Seit Frühjahr 2021 läuft die Produktion auf Hochtouren. Und auf historischem Grund: Auf dem Gelände der ehemaligen Behringwerke wurden schon vor mehr als 100 Jahren sogenannte Heil-Seren gegen Infektionskrankheiten wie Diphtherie und Tetanus hergestellt. Die Seren, die Emil von Behring damals produzierte, enthielten neutralisierende Antikörper aus dem Blut zuvor infizierter Pferde. 

Oliver Hennig, Senior Vice President Operations, BioNTech SE, erklärt die Gründe für den Standort: „Marburg bietet sehr viele Vorteile für eine Produktion dieser Art. Zum einen gibt es in der Region sehr viel spezifisches Wissen und Fachpersonal, zum anderen findet man hier eine sehr gute Infrastruktur, die für die Produktion von pharmazeutischen Produkten notwendig ist. Die Nähe zu Mainz, dem Hauptsitz von BioNTech, war ein weiterer Punkt, der uns die Entscheidung sehr leicht gemacht hat.“ Die Expertise des Teams in Marburg gab BioNTech die Möglichkeit, gemeinsam mit den neuen Kollegen die Prozesse zu optimieren und zu gestalten. Dennoch musste die Anlage zunächst umgerüstet und die damals mehr als 300 Mitarbeiter auf komplett neue Produktionsprozesse trainiert werden. Hunderte zusätzliche Mitarbeiter wurden eingestellt, um die geplante Produktionsmenge auch einhalten zu können: Bei voller Auslastung soll das Werk eine Jahreskapazität von einer Milliarde Impfdosen erzeugen. Das stellen mittlerweile mehr als 500 Mitarbeiter in Marburg sicher. 
„Dafür müssen alle Rädchen perfekt ineinander greifen“, sagt Hennig. Die größte Herausforderung war das Hochfahren der Produktionskapazitäten. „Da es noch nie ein mRNA-Produkt auf kommerzieller Ebene und in diesem Maßstab gegeben hat, waren alle Lieferketten und Rohstofflieferanten nicht für die nun benötigten Mengen vorbereitet. Das war und ist für alle Beteiligten eine große Herausforderung.“ Heute werden drei von vier Schritten in der mRNA-Impfstoffproduktionskette in Marburg abgewickelt: die Herstellung der mRNA, die Wirkstoffaufbereitung und das Formulieren zum fertigen Impfstoff. Abgefüllt werden die Dosen an anderen Standorten im Netzwerk.

An den Erfolg geglaubt

Der BioNTech-Impfstoff mit dem Handelsnamen ComirnatyTM konnte jedoch nur so schnell entwickelt, hergestellt und getestet werden, weil das Unternehmen von Anfang an vom Erfolg des Vakzins überzeugt war. Zu Beginn prüfte BioNTech präklinisch an die zwanzig mögliche Impfstoffkandidaten gleichzeitig, das sparte Zeit. Die vier vielversprechendsten wurde dann weiterentwickelt. „Vier Optionen das Tor zu treffen, das erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit“, fasst Kuhn zusammen. Aber auch bei aller Schnelligkeit durften die Wissenschaftler natürlich keine Abstriche bei den ethischen und den Sicherheitsstandards machen. Dass die Entwicklung und Zulassung am Ende so schnell ging, lag nicht nur an den BioNTech-Forschern selbst, sondern auch an den Zulassungsbehörden. Diese haben normalerweise drei Monate Zeit, den Antrag einer klinischen Studie zu begutachten. Die Behörden arbeiteten rund um die Uhr und konzentrierten ihre Arbeitskraft auf die Zulassung des Vakzins. Kuhn betont: „Da wurde keine Abkürzung genommen, sondern alle haben sich auf das Wichtigste fokussiert: das klare Ziel, so schnell wie möglich zu prüfen und zu entscheiden, ob der Impfstoff funktioniert oder nicht.“ Auch für die Auffrischimpfungen gegen Virus-Varianten wie etwa Omikron zeigt sich der Riesenvorteil der mRNA-Technologie: An dem eigentlichen Herstellungsprozess muss BioNTech nichts anpassen. „Man ändert lediglich die Sequenz der RNA, um diese an die Varianten anzupassen“, erklärt Kuhn. So können Forscher mit mRNA-Impfstoffen schnell auf Varianten reagieren. „Bei klassischen Impfstoffen kann sich im schlechtesten Fall der komplette Prozess ändern, wenn das Antigen angepasst werden muss.“ Auch Omikron wird nicht die letzte Variante gewesen sein. Selbst wenn das Virus endemisch wird, brauchen einige Menschen – wie gegen die Grippe – einen jährlichen Pieks.

Kontakt:

Julia Bloes
Manager Global External Communications
E-Mail: Julia.Bloes@biontech.de