„Landarzt“ – wie der Beruf wieder attraktiv wird

Der Ärztemangel trifft ländliche Gebiete besonders hart – auch die Region Mittelhessen. Das Landarztnetz Lahn-Dill geht deshalb neue Wege zur Sicherung der medizinischen Versorgung durch Hausärzte. Der kaufmännische Leiter Lars Bongartz berichtet über die Herausforderungen beim Aufbau des Netzwerkes und die Bausteine, die für eine erfolgreiche Vermittlung von Arzt und Praxis nötig sind.

Lars Bongartz
Kaufmännischer Leiter der Landarztnetz Lahn-Dill GmbH

Landarzt sein – was früher schon fast einen romantischen Stellenwert hatte und für viele Mediziner erstrebenswert war, lockt heute nicht mehr viele Absolventen. Stattdessen zieht es vor allem junge Menschen in Ballungszentren und große Städte. Für dieses Problem müssen wir eine Lösung finden und die Erfahrung zeigt: Haben Jungärzte das Landarztdasein erst einmal kennengelernt, bleiben die meisten.

Diesen ersten Kontakt mit dem Beruf des Landarztes will das Landarztnetz, kurz LAN, ermöglichen. Unser Bestreben ist es, zur Sicherung der hausärztlichen Patientenversorgung in ländlichen Gebieten des Lahn-Dill-Kreises beizutragen. Dafür haben wir in den vergangenen fünf Jahren ein Netzwerk aufgebaut, das es uns ermöglicht, Nachfolger für Landarztpraxen im Kreis zu finden. Denn viele Ärzte in ländlichen Regionen suchen mittlerweile vergeblich einen Nachfolger.

Demografischer Wandel zeigt sich überall

Wir wussten aufgrund demografischer Daten schon vor Jahren, dass es eng werden würde mit der medizinischen Versorgung auf dem Land. Deswegen haben wir unsere Gesellschaft gegründet. Wir fragten uns also: Was tun? Es gibt seit längerem den Trend, dass sich Mediziner in Deutschland zunehmend in Angestelltenverhältnisse begeben, anstatt freiberuflich ihre eigene Praxis zu führen. Früher, vor 20 bis 30 Jahren, waren die Gehälter bei den Freiberuflern deutlich besser als im Krankenhaus. Heute sind die Gehälter im stationären Bereich genauso gut. Außerdem sind sie flexibler, können einfacher ihren Arbeitsort wechseln, wenn sie das möchten. Deshalb arbeiten viele Ärzte heute lieber angestellt. Von den Medizin-Absolventen gehen heute die meisten in ein Angestelltenverhältnis.

Im niedergelassenen Bereich gibt es diese Möglichkeit erst seit 2004, als in Deutschland die rechtlichen Voraussetzungen für die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) geschaffen wurden. Seitdem gehen immer mehr Mediziner diesen Weg. Mit dem LAN haben wir eine Möglichkeit geschaffen, dass sich Ärzte bei uns in einer Landarztpraxis anstellen lassen können.

Durch die sinkende Anzahl an Landarztpraxen haben Menschen, die auf dem Dorf leben, immer weitere Wege zum nächsten Arzt.
Durch die sinkende Anzahl an Landarztpraxen haben Menschen, die auf dem Dorf leben, immer weitere Wege zum nächsten Arzt.

Vorteile für Altärzte

Traditionell verkaufen Landärzte ihre Praxen. Diese Chance haben sie heute immer seltener, da sie keine Nachfolger finden. Also müssen die meisten Ärzte ihre Praxen schließen oder verschenken. Das machen viele Mediziner ungern. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Da die meisten Ärzte auch in dem Ort wohnen, in dem sie praktiziert haben, gehen sie davon aus, ohnehin weiter für die Patienten Ansprechpartner in Medizinfragen zu sein – auch ohne Praxis. Ein weiterer Grund, die Praxis nur ungerne zu schließen: Die Mediziner wollen ihr Lebenswerk erhalten. Beiden Problemen könnten sie mit einem geeigneten Nachfolger entgehen.

Und hier kommt das LAN ins Spiel. Wir integrieren niedergelassene Arztpraxen in das Landarztnetz. Das Netzwerk übernimmt die Praxis (das Sachvermögen) samt Mietvertrag und Angestellten. Allerdings nur unter der Bedingung, dass der Arzt noch weitere zwölf Monate praktiziert. Diese Zeit brauchen wir, um einen möglichen Nachfolger zu finden, der dann auch noch vom Altarzt eingearbeitet werden sollte.

Aus dem jährlichen Bericht der Ärztestatistik der Bundesärztekammer vom 31.12.2018:

2018 praktizierten in Deutschland 392.400 Ärztinnen und Ärzte, davon sind 117.500 niedergelassen, 39.800 angestellt. Ein Viertel der niedergelassenen Ärzte plant etwa in den nächsten fünf Jahren in Rente zu gehen. Davon wären auch zahlreiche Landarztpraxen betroffen. Hochrechnungen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen zufolge werden dann in den nächsten zehn bis 15 Jahren bundesweit 30.000 Hausärzte fehlen.

Neue Chancen für Jungärzte

Jungärzte haben drei Möglichkeiten, wenn sie sich uns anschließen und sich in einer Praxis anstellen lassen: Stellen sie fest, dass das Landarzt-Dasein nichts für sie ist, dann können sie einfach irgendwann weiterziehen. Wenn ihnen der Beruf gefällt, können sie entweder auf unbestimmte Zeit weiterhin angestellt praktizieren oder aber sie übernehmen die Praxis und gründen sie wieder aus dem Netzwerk aus. Also ein Angestelltenverhältnis mit Option auf Niederlassung.

Und das sind nicht die einzigen Vorteile für Jungärzte. Zusätzlich bietet das Netzwerk ihnen unterschiedliche Arbeitszeitmodelle – sie können in Voll- oder in Teilzeit arbeiten – und bekommen einen Dienstwagen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Ist ein Jungarzt erst einmal angekommen, findet er meist das Landarztdasein gar nicht so schlecht und bleibt. Wir sind in diesem Sinne also ein wichtiges regionalpolitisches Projekt: Das Netzwerk verbessert durch das Betreiben von Praxen die medizinische Versorgung auf dem Land und schafft Arbeitsplätze. Derzeit beschäftigen wir 50 Menschen an unseren Standorten – zehn Ärzte und 40 Praxismitarbeiter.

Viele Ärzte haben sich schnell an das Dasein als Landarzt gewöhnt und schätzen es sehr.
Viele Ärzte haben sich schnell an das Landarztdasein gewohnt und schätzen es sehr.

Das Landarztnetz ist Zukunftschance

Leider lebt das LAN bisher von vielen Zufällen. So wie es jetzt besteht, wird es in Zukunft nicht bestehen bleiben können. Ein nächster Entwicklungsschritt muss her. Eine Möglichkeit wäre es, dass in Zukunft auch Nicht-Ärzte – etwa die Nicht-ärztliche Praxisassistenz – auch substitutiv arbeiten darf, nicht nur delegativ wie bisher. Planungen in diese Richtung gibt es, rechtlich ist das aber bisher nicht möglich. Eine andere Möglichkeit ist ein besseres, regionales Management. Sprich, es muss Patienten-Transportsysteme geben, die die Patienten zu weiter entfernten Ärzten bringen können.

Die dritte Möglichkeit ist die Weiterentwicklung der Telemedizin. Bisher gibt es hier nur Testläufe, etwa zu einer digitalen Sprechstunde per Videotelefonie. Aber ich denke, dass sich das über kurz oder lang generell ändern wird. Menschen aus ländlichen Regionen werden sich darauf einstellen müssen, dass sich ihre Versorgung in Zukunft ändern wird und sie längere Wege in Kauf nehmen müssen. Außerdem werden sie sich an Digitalisierung in der Medizin gewöhnen müssen – was an sich nichts Negatives ist, aber für die meisten eben noch ungewohnt. Das kommt und das muss auch kommen! Dennoch haben wir mit dem LAN eine Chance geschaffen, diese Veränderung so angenehm wie möglich zu gestalten – und vor allem, sie mitzugestalten!

Firmenporträt

Landarztnetz Lahn-Dill

Gesellschafter des Landarztnetzes sind die Lahn-Dill-Kliniken GmbH und der ehemals 1. Stellvertretende Vorsitzende des Arztnetzes für die Region Lahn-Dill (A.N.R. e.V.), Dr. Michael Saar aus Breitscheid. Das Landarztnetz Lahn-Dill – und damit das Basis-MVZ in Breitscheid – wurde am 01.04.2014 durch den Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen genehmigt.

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