Nasale Langzeit-Inhalation: Die Atemwege im Schlaf therapieren

Millionen Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen wie Asthma und COPD gehören im Rahmen der Corona-Pandemie zur besonders gefährdeten Risikogruppe. Den besten Schutz bietet eine optimal eingestellte Therapie der entzündeten Lungenbereiche – und die könnte durch die Nasale Langzeit-Inhalation, die gerade in Marburg entwickelt wird, einen innovativen Schub erfahren.

Nasale Langzeit-Inhalation bei Asthma und COPD

Erst spürt man nur ein leichtes Ziehen in der Brust, dann breitet sich ein Engegefühl im ganzen Brustkorb aus, die Atmung beschleunigt sich und das Herz schlägt schneller. Einsetzende Panik wirkt als ein zusätzlicher Verstärker der Beschwerden. Wer das bedrohliche Gefühl der Atemnot kennt, möchte es nie wieder erleben.

Viele Patienten mit chronischen Erkrankungen der Lunge leben jedoch mit der Angst, von einem auf den anderen Moment keine Luft mehr zu bekommen. Unter den Volkskrankheiten Asthma oder COPD zum Beispiel leiden in Deutschland schätzungsweise 15 Millionen Menschen. Der Druck, den diese Menschen ohnehin verspüren, wächst gerade nochmal deutlich: Denn sie gehören zur Corona-Risikogruppe und müssen im Falle einer Infektion mit einem schweren Verlauf rechnen.

Die Grenzen der herkömmlichen Inhalationstherapie

Bestimmte Medikamente sind für chronische Atemwegspatienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium lebenswichtig. Die meist inhalativ verabreichten Wirkstoffe führen u.a. zu einer Weitung der Bronchien – das verschafft ihnen im Notfall schnell Luft und verhindert langfristig weitere Atemnotattacken. Die inhalative Verabreichung soll dabei garantieren, dass der jeweilige Wirkstoff schnell an sein Ziel gelangt: in die kleinsten Verästelungen der Lunge, in denen sich das Krankheitsgeschehen abspielt.

Menschen leiden in Deutschland an Asthma oder COPD
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In der Realität stehen diesem Ziel jedoch einige Hürden im Weg: Die Anwendung der kleinen Inhalationssysteme (Dosieraerosole), mit deren Hilfe die Patienten den Wirkstoff meist zwei- bis dreimal täglich inhalieren, ist äußerst fehleranfällig. Erschwerend hinzu kommt der lange Weg, den die winzigen Wirkstoffteilchen vom Mund in die kleinen Atemwege zurücklegen müssen. “Das, was die Patienten an Medikament inhalieren, und das, was schlussendlich in der Lunge ankommt, ist vergleichsweise zu wenig”, sagt Prof. Dr. Ulrich Koehler von der Klinik für Innere Medizin, Lungenheilkunde und Schlafmedizin in Marburg. Wer zudem jeden Tag mehrere Medikamente einnehmen soll, verliert schon mal den Überblick oder vergisst an beschwerdefreien Tagen die Einnahme.

In der Summe stellt die Inhalationstherapie also erhebliche Anforderungen nicht nur an die koordinativen Fähigkeiten, sondern auch an die kontinuierliche Mitarbeit der Patienten. Die Folge ist eine schwankende Dosierung des Wirkstoffs, die den Erfolg der Behandlung erheblich gefährden kann.

Die Möglichkeiten der Nasalen Langzeit-Inhalation

Wie also lässt sich die Inhalationstherapie zum Wohle der Patienten optimieren? Auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten findet eine Forschergruppe der Universität Marburg (Prof. U. Koehler), der Technischen Hochschule Mittelhessen (Prof. V. Gross und Prof. K. Sohrabi) sowie der Thora Tech GmbH (Dr. A. Weissflog) eine überraschende Antwort: Nach dem Konzept der nasalen Langzeit-Inhalation sollen die Patienten zukünftig über die Nase inhalieren – und zwar im Schlaf: „Es geht darum, die Nachtphase auszunutzen und die Patienten besser auf den Tag vorzubereiten“, sagt Prof. Koehler (rechts im Bild).

Leiter des schlafmedizinischen Zentrums in Marburg

Der Theorie der Forscher zufolge bietet die Schlafphase der Patienten beste Voraussetzungen für den Erfolg der Inhalationstherapie. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist in der Nacht ausreichend Zeit vorhanden, um – nach dem Prinzip long-time/low-dose – wenig Medikament über einen längeren Zeitraum zu verabreichen. Das könnte die Nebenwirkungen reduzieren helfen und die Patienten entlasten, die tagsüber mehrfach Ihre Medikamente inhalieren müssen. Zum anderen  sind die Symptome in der Nacht und am frühen Morgen oft besonders stark ausgeprägt, wenn die Atemwege eng werden und sich vermehrt Schleim in der Lunge angesammelt hat. Vor diesem Hintergrund lässt sich möglicherweise durch die nächtliche Einnahme der Medikamente den Beschwerden direkt entgegenwirken.

So funktioniert die nächtliche Inhalation über die Nase

Entscheidend für den Erfolg der Therapie wird aber eine andere Frage sein: Gelingt es den Forschern, den Wirkstoff mithilfe der neuen Methode besser zu dosieren bzw. im Zielbereich der kleinen Atemwege zu deponieren? Die Lösung dieses Problems liegt dabei in der Kombination der Inhalation mit einer bereits etablierten Therapie.  Denn die neue Methode ist erst einmal primär für Patienten mit einer schwergradigen COPD vorgesehen. Diese Patienten sind bereits mit Sauerstoff und vor allem mit einer  nächtlichen Beatmung  (BIPAP = biphasic positive airway pressure) versorgt.

BIPAP ist eine bereits etablierte Beatmungstherapie, die die Patienten bei der Atmung unterstützt. Mithilfe eines maschinell erzeugten Überdrucks werden die Atemwege geöffnet und die Atemmuskulatur entlastet. Das Besondere an der Nasalen Langzeit-Inhalation fasst Prof Koehler so zusammen: „Wir kombinieren das Staudruckverfahren mit der inhalativen Therapie. Mit Staudruck werden die Atemwege geschient und dann wird mithilfe eines Verneblersystems das Medikament appliziert. Durch diese Kombination kommen wir viel tiefer in die Lungenperipherie hinein als das bisher der Fall war. Mit Staudruck ist der Weg über die Nase ideal.“

Die Wirksamkeit muss sich im Alltag der Patienten zeigen

Das ambitionierte Forschungsprojekt ist nun an einem entscheidenden Punkt angekommen: In weiteren Untersuchungen soll die Wirksamkeit der Nasalen Langzeit-Inhalation weiter nachgewiesen werden. Dabei lassen sich nicht nur bronchialerweiternde Wirkstoffe über die nasale Inhalation verabreichen. Auch Kortison, Antibiotika und die Feuchtinhalation von Sole sind auf diesem Wege applizierbar. Die NLI birgt also großes Potenzial für eine intelligente und automatisch gesteuerte Medikation, die die Versorgung der Patienten auf ein neues und besseres Niveau heben könnte.

Auch die Frage nach der Therapietreue der Patienten – die sogenannte Compliance – rückt nun immer mehr in den Vordergrund: Nehmen die Patienten die neuartige Therapie in ihrem Alltag an und verbessert sich dadurch die Compliance? „Denn nur dann, wenn sich die Betroffenen selbst überzeugen lassen, dass es ihnen hilft,” weiß auch Prof. Koehler „kann eine Therapie wie die NLI erfolgreich sein.“

Wenn das gelingt, könnte die Nasale Langzeit-Inhalation schon bald ihren Weg in den Alltag der Patienten finden – und die Idee vom gesunden Schlaf für die Betroffenen noch einmal deutlich an Bedeutung gewinnen.

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