THM Gießen: „Studieren mit Praxisbezug und Strahlkraft weit über die Region hinaus“

Prof. Dr. Matthias Willems ist seit 2016 Präsident der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) und spricht hier über Ausrichtung, Pläne und aktuelle Herausforderungen in Forschung und Lehre. Er selbst hat Medizininformatik studiert und freut sich in seiner täglichen Arbeit über Berührungspunkte in den Bereichen Gesundheit und Medizin.

(Foto: Technische Hochschule Gießen)

Was sehen Sie als wichtige Aufgabe der Hochschulen heute?

Prof. Willems: Wir müssen den jungen Menschen heute die Grundlagen mit auf den Weg geben, dass sie sich weiterentwickeln und immer wieder in neue Themen einarbeiten können. Also zum Beispiel: Wie gehe ich ein Projekt an? Das Grundsätzliche wird sich nicht ändern, aber die Methoden dafür schon. Hier braucht es flexibles Denken und die Bereitschaft sich in neue Gebiete hineineinzudenken. 

Das Gesundheitswesen an der THM ist ja enorm gewachsen. Was genau ist denn neu dazu gekommen?

Prof. Willems: Wir haben zum Beispiel den Fachbereich Gesundheit gegründet. Dort bieten wir Medizininformatik sowie einen Studiengang medizinisches Management mit fünf verschiedenen Schwerpunkten an – und waren überrascht von dem enormen Interesse von Studierenden ebenso wie von Arbeitgeberseite: Mittlerweile haben wir über tausend Studierende in diesem Fachbereich. In Zukunft wollen wir akademische Ausbildungsmöglichkeiten für junge Leute bieten, die medizinische Fachberufe wie zum Beispiel Hebamme oder Pfleger anstreben. In der Forschung kümmern wir uns um Themen wie digitale Medizin, 3D-Druck und Telemedizin. Hier arbeiten wir eng mit unseren Partnern am Forschungscampus Mittelhessen zusammen. Mit der Universität Marburg etwa überwachen wir via Telemedizin Patienten mit einer chronischen Lungenerkrankung. Und mit Künstlicher Intelligenz (KI) wollen wir Säuglinge mit Atemproblemen nachts besser versorgen. Alle Ansätze verfolgen dabei ein Ziel: Wir wollen das Leben für die Patienten mit Hilfe neuer Technologie verbessern. 
Das spiegelt sich auch in der Lehre wieder: Wir haben sehr gute Module, die wir heute mit Virtual Reality oder Augmented Reality bedienen, um die reale Welt noch besser zu verstehen. Unsere Studierenden können so zum Beispiel eine Halsschlagader genau betrachten und zugleich Details über deren Anatomie und Funktion erfahren.

Prof. Dr. Matthias Willems (Foto: transQUER GmbH)

Wie sehen Sie die Region in Sachen Healthcare aufgestellt?

Prof. Willems: Mittelhessen ist eine hervorragende Bildungs- und Medizinregion: Wir haben hier drei Hochschulen mit insgesamt 70.000 Studierenden und sich ergänzenden Produktportfolios in den Studiengängen. Die Unterschiede stärken das Gesamtbild und befördern Synergien. So ergibt sich immer wieder die Möglichkeit, gemeinsame Projekte aufzubauen und darin die Kompetenzen aller drei Hochschulen zu nutzen. Unsere Studierenden etwa können ihre Forschung mit der praktischen Anwendung an Universitätskliniken kombinieren. Davon profitieren alle – häufig auch über die Grenzen Hessens hinaus. 

der etwa 20.000 Absolventen an der THM der letzten zehn Jahre bleiben in der Region. Damit ist die THM ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
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Wo liegen die größten Stärken der THM?

Prof. Willems: Das Besondere und vielleicht auch das Herausragende auch im nationalen Vergleich ist die regionale Vernetzung einerseits und der Anwendungsbezug andererseits. Unsere Studierenden lernen in konkreten Projekten, lösen reale Probleme und können praktische Ergebnisse vorweisen. Damit sind sie optimal auf ihr Berufsleben vorbereitet. Unser Studium trainiert Eigenverantwortung von Anfang an – und dabei arbeiten immer häufiger Studierende verschiedener Fachbereiche zusammen. Ich denke da etwa an das Konzept von Rennwagen, die mit möglichst wenig Sprit möglichst weit fahren sollen, oder an unser Robotics-Team. Unsere Projekte in dualen Studiengängen bieten konkrete Nutzen für unsere regionalen Partner aus Industrie und Kommunen. Das spricht sich herum – unter den Studierenden ebenso wie in den Firmen der Region, in die unsere Absolventen wechseln.

Und was ist eine große Herausforderung für die THM heute?

Prof. Willems: Zum einen wird die Digitalisierung alle unsere Lebensbereiche fundamental verändern. Unsere Herausforderung ist es nun, in alle Studiengänge das Know-how einzubringen, dass die Absolventen brauchen, um auf lange Sicht fit für ihre Berufsfelder zu sein. Zum anderen wollen wir unsere Forschungsschwerpunkte weiter ausbauen, so dass die Studierenden auch in Zukunft auf dem aktuellen Stand der Technik sind – in der Medizininformatik ebenso wie in der Biotechnologie und Elektrotechnik. Ein weiterer Aspekt wird die Ethik in der Digitalisierung sein. Das heißt zum Beispiel: Wie geht man mit den Medien um? Welche Daten gibt man künftig preis?

Die Corona-Pandemie forciert die Transformation zusätzlich. Wie sehen Sie die THM gerüstet? 

Prof. Willems: Als Folge der Coronakrise starteten die Lehrveranstaltungen verspätet ins Semester und werden zunächst ausschließlich digital angeboten. Aber ich hoffe, es wird nicht allzu lange dauern, bis wir zeigen können, dass wir keine Fernhochschule sind und was ´Studieren´ wirklich bedeutet. Studierende werden hoffentlich bald wieder in Vorlesungen und Laboren sitzen, ihre Mitstudierenden kennenlernen und neue Freundschaften schließen. Generell stellen wir uns natürlich darauf ein den digitalen Wandel mitzugestalten – auch in der Lehre. Wir müssen unsere Lehrmethoden anpassen an das neue Verhalten. Wir müssen die technischen Möglichkeiten nutzen nicht als Selbstzweck sondern so, damit sie Verbesserungen bringen. Dabei wird es nicht damit getan sein dass wir Lehrinhalte oder Vorlesungen einfach auf Video aufnehmen. Die Lehrenden haben in der Coronakrise schon ganz individuelle und innovative Wege gefunden. Aber die Präsenzlehre wird selbstverständlich erhalten bleiben: Vorlesungen, Seminare und vor allem das zentrale Element der Hochschule für Angewandte Wissenschaften: praktische Übungen, in denen man lernt, wie praktische Probleme gelöst werden.

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