Trendbericht Telemedizin: Videochat mit dem Arzt

Ein Sieger in der Corona-Krise ist schon jetzt erkennbar: Die Telemedizin. Patienten meiden den Besuch beim Arzt und die Ansteckungsgefahr im Wartezimmer. Und wer in häuslicher Quarantäne bleiben muss, braucht umso nötiger einen guten Draht zum Arzt – vor allem chronisch kranke Menschen sind dann besonders darauf angewiesen. Das forciert die Nutzung von Telemedizin.

Per Videochat ins Arztzimmer: Was bislang in vielen Ländern eher ein Schattendasein fristete, wird in der Covid-19-Pandemie zum Rettungsanker für viele Menschen. Internetanschluss, PC, Tablet oder Smartphone mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher – und schon startet die Fernbehandlung. Über verschiedene digitale Plattformen konsultieren Patienten virtuell ihre Arztpraxis. In Deutschland wurden im Zuge der Corona-Pandemie die bisher geltenden Beschränkungen gelockert und Ärzte dürfen nun unbegrenzt viele Patienten in digitalen Sitzungen behandeln. Anbieter von Telemedizin-Plattformen wiederum müssen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifiziert sein. Der Health Innovation Hub, das Expertengremium für die Digitalisierung der Medizin unter Verantwortung des Bundesgesundheitsministeriums, hat aufgrund der aktuellen Lage die Liste „Corona digital, Covid-19: Telemedizin als Chance“ mit zertifizierten Anbietern veröffentlicht.

Mehr Komfort für Patienten 

Vor allem Patienten in ländlich geprägten Gegenden bietet die Video-Sprechstunde Vorteile: Lange Anfahrtswege und Wartezeiten fallen weg. Gerade für junge Familien mit kleinen Kindern oder für ältere Menschen bedeutet das einen großen Vorteil. Ob am Wochenende, nachts, im Urlaub oder auf Dienstreisen – per Telemedizin ist der Arzt des Vertrauens aus jeder Ecke der Welt zu erreichen. Er berät zu notwendigen Impfungen bei Reisen oder kann eine Zweitmeinung zu einer Diagnose abgeben. In der virtuellen Sprechstunde lassen sich auch einfache Fragen schnell klären: Habe ich nur einen banalen Schnupfen oder bin ich ernsthaft krank? Kann ich die Wunde selbst versorgen oder muss ich ins Krankenhaus? Das entlastet auch Notaufnahmen und Notfallambulanzen.

30 Prozent der Telemedizin-Angebote muss der Patient selbst tragen.

Chronisch Kranke profitieren besonders

Besonders profitieren chronisch kranke Langzeit-Patienten. Eines der eindrucksvollsten Beispiele hierfür ist die TIM-HF2- oder FONTANE-Studie mit Patienten, die an einer Herzinsuffizienz, also einer chronischen Herzschwäche, leiden: Die Gesamtsterblichkeit der Gruppe, die durch Telemonitoring überwacht wurde, war um 30 Prozent geringer als die der Kontrollgruppe. Basis war eine einmal tägliche Übertragung von Blutdruck, EKG, Gewicht, Sauerstoffsättigung und einem klinischen Kurzfragebogen sowie eine engmaschige Betreuung der Patienten durch ein telemedizinisches Service-Center. Zudem soll hierbei in dem Projekt Telemed5000 mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ein System entwickelt werden, dass die Betreuung von noch größeren Patientenzahlen ermöglicht.  

Das virtuelle Krankenhaus 

Ein weiterer Schritt in der digitalen Versorgung ist das „Virtuelle Krankenhaus“: Letztendlich ist eine solche Einrichtung ohne Betten und festen Standort nichts anderes als eine digitale Plattform, die fachärztliche Expertise und medizinisches Wissen aus Spitzenzentren überregional bündeln und besser zugänglich machen soll. Das virtuelle Krankenhaus könnte dann unter anderem den elektronischen Austausch von Patientendaten sowie Video-Sprechstunden ermöglichen und gleichmäßige Qualität an allen Orten dieser Welt verfügbar machen. So kann das vorhandene Expertenwissen den Patienten und Arzt-Kollegen überall dienen – auch in ländlichen Gebieten, wo Krankenhäuser und Fachärzte fehlen. Durch das Bündeln der Expertise spezialisierter Zentren könnten zum Beispiel Diagnose und Therapie gerade auch von seltenen Erkrankungen deutlich verbessert werden.

Das digitale Gesundheitsnetzwerk „TELnet@NRW“ ist bereits Realität. Ziel ist, die Intensiv- und Notfallmedizin besonders auf dem Gebiet schwerer Infektionen zu verbessern. In den Universitätskliniken Aachen und Münster stehen dafür Teams aus erfahrenen Fachärzten und Oberärzten sowie Intensivpflegekräften mittels Audio-Videokonferenz bereit, ihren Kollegen in Praxen oder Krankenhäusern bei Fragen beratend zur Seite zu stehen. Die Erfahrungen sind durchweg positiv. In der Corona-Pandemie sind auch Telekonsile speziell zu intensivpflichtigen COVID-19-Patienten für NRW-Kliniken möglich.

Digitale Gesundheit: Globale Unterschiede 

Nicht nur in Israel und Kanada sind Ferndiagnosen und Fernbehandlungen per Video selbstverständlicher Teil der Gesundheitsversorgung. Auch europäische Länder wie Estland, Dänemark oder Schweden sind weit entwickelt bei der Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung feststellte. So beispielsweise auch bei der Verfügbarkeit der elektronischen Patientenakte oder dem E-Rezept. In Israel können sogar einfachere Untersuchungen der Ohren, Augen, Haut oder des Rachens über ein tragbares Untersuchungskit zuhause durchgeführt und Ergebnisse über eine App live an einen Telemedizin-Arzt übermittelt werden. 

In Deutschland ist bisher von den digitalen Möglichkeiten im Alltag der gesundheitlichen Versorgung wenig angekommen und sie sind noch nicht bundesweit und für alle Patienten nutzbar. So ist die gesetzliche Grundlage zur Einführung des e-Rezepts zwar geschaffen, doch eine sichere digitale Infrastruktur wird derzeit noch in Modellprojekten getestet. Die ePA, die elektronische Patientenakte, soll 2021 allen Versicherten zur Verfügung stehen. Weiterhin muss für ein flächendeckendes Telemedizin-Angebot das Vorhandensein von hochwertigen Datennetzen in ländlichen Regionen ebenso gewährleistet sein wie verbindliche Rahmenbedingungen zur Datensicherheit und Sicherung der medizinischen Qualität.

“Wir möchten die Digitalisierung im Gesundheitswesen zur Realität machen.”
Armin Häuser, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für Telemedizin und E-Health in Giessen
Armin Häuser
Geschäftsführer des Kompetenzzentrums
für Telemedizin und E-Health Hessen

Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen 

Um die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Hessen voranzutreiben, wurde 2018 im Rahmen der „E-Health-Initiative Hessen“ das „Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health Hessen“ mit Sitz in Gießen gegründet. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), der Justus-Liebig-Universität (JLU) in Gießen und dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) berät und unterstützt das Zentrum landesweit die Akteure des Gesundheitswesens bei Projekten rund um telemedizinische Anwendungen und E-Health-Infrastrukturen. “Wir möchten die Digitalisierung im Gesundheitswesen zur Realität machen”, erklärt Armin Häuser, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für Telemedizin und E-Health Hessen. In der Region gibt es bereits viele innovative Ansätze, denen man zum Erfolg verhelfen will. “Digitalisierung zum Beispiel kann unser medizinisches Personal von bürokratischer Arbeit entlasten – und ihnen so wieder mehr Zeit für die Patienten verschaffen. Digitalisierung soll als hilfreich wahrgenommen werden – und den Bürgern keine Angst machen. Es geht uns in erster Linie nicht um Kosteneinsparung sondern um eine Verbesserung der Patientenversorgung”, so Häuser. Seine Vision: In fünf Jahren sollen Möglichkeiten, die heutzutage vielleicht noch nicht vorstellbar sind, als ganz selbstverständlich wahrgenommen werden. 

Letztlich geht es also bei der Telemedizin und den weiteren digitalen Gesundheitsangeboten immer um das eine Ziel: Alle Aspekte der Digitalisierung für eine bestmögliche, patientenzentrierte Gesundheitsversorgung zu nutzen und sie als ergänzendes Angebot in die Regelversorgung zu integrieren.  

eHealth-Award 

Hessen schreibt 2020 erstmals einen eHealth-Award im Gesundheitswesen aus. Ausgezeichnet werden sollen innovative Projekte oder Projektideen, um mit Hilfe elektronischer Anwendungen die Gesundheitsversorgung in Hessen zu verbessern. Die Ausschreibung und die Bewerbungsunterlagen finden Sie hier.

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