Schnarchen kann ein Indiz für Schlafapnoe sein, die mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle einher geht. Im schlafmedizinischen Zentrum Marburg forscht ein Expertenteam an Diagnose- und Therapieverfahren für Schlaf- und Atmungsstörungen. Betroffene können sich hier untersuchen lassen.
Müde, antriebslos, erschöpft: Der Alltag für viele Menschen. Um erholt aufzuwachen, reichen einem Erwachsenen in der Regel sieben bis neun Stunden Schlaf. „Wer sich über längere Zeit, trotz genug Schlaf, nur schlecht erholt, sollte sich dringend untersuchen lassen – Schlafapnoe könnte eine Ursache sein“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Koehler, Leiter des schlafmedizinischen Zentrums in Marburg. Besonders Schnarcher sind gefährdet an dem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) zu leiden. Charakteristisch für die Krankheit: Atemaussetzer. Sie sind Auslöser für Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Atemstillstand durch Schlafapnoe
Um Folgerisiken, wie Schlaganfall oder Herzinfarkt vorzubeugen, rät der Experte, Wachsamkeit bei Anzeichen wie extremer Tagesschläfrigkeit, andauernder Erschöpfung, geringer Leistungs- sowie Merkfähigkeit und lautem Schnarchen. Denn wer schlecht schläft, gefährdet nicht nur seine Gesundheit, sondern sogar die anderer Menschen – zum Beispiel im Straßenverkehr: Vor allem Risikoberufsgruppen, wie Bus- und Lkw-Fahrer, sind häufig von Sekundenschlaf betroffen – das Unfallrisiko steigt enorm. „Schlaf soll entmüden. Nur so ist man tagsüber leistungsfähig“, sagt der Experte.
Marburg: Wiege der Schlafmedizin
Vor rund 40 Jahren behandelte Prof. Dr. Ulrich Koehler, Leiter des schlafmedizinischen Zentrums in Marburg, zusammen mit einem Team, erstmals in Deutschland, die unerforschte Krankheit Schlafapnoe. In den 1980er Jahren entwickelte sich aus einer reinen Forschungseinheit das erste klinisch arbeitende Schlaflabor für Diagnostik und Therapie. Mit der Messeinheit ‚Marburger Koffer’ konnte man weltweit Patienten mit schlafbezogenen Atempausen im häuslichen Umfeld untersuchen. Dabei fiel auf, dass lautes Schnarchen ein Indiz für das obstruktive Schlaf-Apnoe-Syndrom (OSAS) ist. Studien belegen, dass 60 Prozent der Männer und etwa 40 Prozent der Frauen nachts schnarchen. Männer leiden häufiger an einem OSAS, weil bei ihnen die Fettverteilung in der oberen Körperhälfte ausgeprägter ist – vor allem am Hals. Bei Frauen verteilt sich das Körperfett mehr am Gesäß und in den Beinen.
Ursache einer obstruktiven Schlafapnoe ist erschlaffte Muskulatur bzw. eine anatomische Einengung des oberen Atemweges im Zungengrundbereich. Übergewicht begünstigt dies zusätzlich. Der Luftstrom beim Einatmen lässt die zusammengefallenen Schlundmuskeln so stark vibrieren, dass laute Töne entstehen. Das verursacht unangenehmes Schnarchen. In schweren Fällen blockiert das Gewebe den Luftfluss – Atmen ist dann unmöglich. Die Folge: Hypoxämie, Sauerstoffmangel im Blut. Es droht eine Sauerstoffunterversorgung lebenswichtiger Organe. „Zehn Sekunden, in Extremfällen bis zu über eine Minute dauern die Atempausen“, sagt Koehler. Ständiges Ringen nach Luft bedeutet für den Körper Stress. „Manche Patienten schütten im Schlaf mehr Stresshormone aus als tagsüber unter körperlicher Belastung“, berichtet Koehler.
CPAP-Geräte für besseren Schlaf
Das Auftreten einer obstruktiven Schlafapnoe hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: Geschlecht, Alter, Gewicht und Lebensstil haben Einfluss, aber auch anatomische Fehlstellungen im Rachenraum und genetische Veranlagung können die Erkrankung befördern. Nach eingängiger Untersuchung und Diagnose im Schlaflabor, behandeln Prof. Dr. Koehler und sein Team OSAS-Patienten meist mit maschinellen Beatmungsformen, wie CPAP-Geräten (Continuous Positive Airway Pressure). Das Gerät stößt über eine Maske einen Luftdruck aus, der den zusammengefallenen Atemweg des Patienten stabilisiert und quasi als Schiene wirkt. Ein einfaches Verfahren, das ganz ohne Operation auskommt. Dafür muss der Erkrankte die Maske allerdings jede Nacht tragen. „Die Therapieeffekte des CPAP-Geräts sind genial. Bisher ist es die einzig erfolgreiche Lösung, den Atemweg ohne chirurgischen Eingriff offenzuhalten“, sagt Koehler. Bereits nach einer Nacht mit Maske, berichten OSAS-Patienten über eine deutliche Verbesserung ihres Zustandes. Darüber hinaus empfiehlt er ihnen einen gesunden Lebensstil: Alkohol- und Nikotinverzicht und Gewichtsreduktion bei Übergewicht.
Schlafstörungen durch digitale Medien
Nicht jeder, der schlecht schläft, muss zwingend an Schlafapnoe leiden. Auch die intensive abendliche Nutzung von Smartphone und Co. kann den Schlaf stören. Laut Koehler sind Schlafstörungen auch das Resultat digitalen Konsums. Am häufigsten betroffen: junge Erwachsene. Sie chatten meist bis tief in die Nacht am Handy oder surfen im Internet. Das späte Zubettgehen und aufregende Inhalte auf Webseiten erzeugen innere Unruhe und Gedankenkino. Viele seiner Patienten sind übermüdete Jugendliche. „Fünf bis sechs Stunden Schlaf sind für Heranwachsende viel zu kurz. Sie glauben, sie könnten den Schlaf, der ihnen unter der Woche fehlt, am Wochenende kompensieren – das ist ein Irrglaube“, erklärt der Schlafforscher. Für hohe Leistungsfähigkeit am Tag, brauchen gerade junge Menschen mehr Schlaf als ihre älteren Kollegen. Der Experte empfiehlt bei Einschlafproblemen, jeden möglichen Stressfaktor, wie Handy oder Tablet, vor dem Zubettgehen auszuschalten. Zur gleichen Uhrzeit ins Bett gehen – das gilt auch für Erwachsene. Lange Spaziergänge bei Tageslicht und sich am Rhythmus der Sonne orientieren. All das hilft bei harmlosen Ein- und Durchschlafproblemen.
Nicht immer sind Diagnosen einfach. Manchmal löst Koehler rätselhafte Fälle, die nicht zusammenpassen. „Ich hatte schon Patienten mit 500 bis 800 Atempausen, die allenfalls ein Viertel ihrer gesamten Schlafdauer atmeten und am nächsten Morgen topfit waren“, erinnert sich der Wissenschaftler. Aber genau das reizt ihn: Unerklärliches erforschen, um weltweit Menschen zu helfen. So begann das Forscherteam um Prof. Dr. Ulrich Koehler vor rund 40 Jahren in Marburg, seltene Schlafkrankheiten zu studieren. Heute arbeiten er und sein Team in enger Kooperation mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) und Industrieunternehmen in der Region. Der Mix aus Medizinern, Forschern und Medizinwirtschaft bringt nicht nur den Standort Marburg voran, sondern leistet auch international einen großen Beitrag zur Erforschung schlafbezogener Krankheiten, wie Narkolepsie (Schlafsucht), Schlafwandeln und Bruxismus (Zähneknirschen). Aktuell kümmern sich die Wissenschaftler vor allem um Forschungsprojekte im Bereich Telemedizin. „Es ist ein sehr fruchtbares Miteinander – wir haben zusammen in den letzten Jahren viele technische Geräte entwickelt“, sagt Prof. Dr. Koehler.