Medikamente aus Blutplasma bekämpfen seltene Krankheiten

Ein Liter Blutplasma kann in 17 verschiedenen Produktlinien gegen seltene Krankheiten eingesetzt werden: Das Marburger Biotechnologie-Unternehmen CSL Behring stellt daraus Medikamente gegen Erkrankungen wie das Hereditäre Angioödem (HAE) und Hämophilie her. Aktuell vergrößert das Unternehmen seine Produktionsgebäude, um zukünftig noch mehr Menschen zu helfen.

CSL Behring
CSL Behring bietet eine neuartige subkutane Injektion zur Behandlung von HAE an. (Foto: CSL Behring)

Plötzlich auftretende schmerzhafte Magen-Darm-Attacken und Schwellungen am ganzen Körper sowie Luftnot und lebensbedrohlichen Erstickungsanfälle. Die 56-jährige Cheryl erlitt viele derartige Symptome bis sie nach vielen Jahren des Leidens endlich ihre Diagnose erhielt: Hereditäres Angioödem (HAE). HAE entsteht durch einen vererbten Gendefekt. Bei den Betroffenen liegt seit ihrer Geburt ein quantitativer oder qualitativer Mangel eines bestimmten körpereigenen Plasmaproteins vor, dem C1-Esterase-Inhibitor.

Was die Diagnose von HAE so kompliziert macht: Die Symptome treten erst nach vielen Jahren auf, meist in der Pubertät. Cheryl war 15 als sie ihre erste Attacke erlitt. Über ihr Leben mit HAE sagt sie: „Die Krankheitssymptome kamen oft unerwartet und in Schüben. Ich war in dieser Zeit schwer körperlich beeinträchtigt, bettlägerig und arbeitsunfähig. Auch meine private Lebensqualität litt unter diesen Attacken. Immer wieder musste ich Verabredungen absagen.“ Unbehandelt dauern die Schübe bei Patienten mit Hereditärem Angioödem bis zu drei Tage lang.

HAE ist ein höchst seltenes Krankheitsbild. Schätzungen zufolge ist einer von 10.000 bis 50.000 Menschen betroffen. In Deutschland gibt es etwa 1.500 diagnostizierte HAE-Patienten – die Dunkelziffer liegt jedoch weitaus höher. Bevor es zur richtigen Diagnose kommt, erhalten viele Patienten zunächst andere Diagnosen wie eine psychosomatische Störung oder eine Allergie. Im schlimmsten Fall werden die Patienten für sie nutzlosen Bauchoperationen, wie einer Blinddarmentfernung, unterzogen, da die eigentlichen Ursachen der Beschwerden ungeklärt bleiben.

Medikamente aus menschlichem Blutplasma

Steht die eigentliche Ursache erst einmal fest, ist die Krankheit heute gut behandelbar. Die Diagnose erfolgt über eine Blutprobe, auf deren Grundlage Ärzte den Spiegel des C1-Inhibitor-Proteins bestimmen können. Liegt ein Mangel vor, kommt ein von dem Biotechnologie-Unternehmen CSL Behring entwickeltes Medikament ins Spiel, um das fehlenden C1-Inhibitor Protein zu ersetzen. Die richtige Diagnose zu stellen bleibt aber weiterhin der schwierigste, aber wichtigste Punkt.

Das erste Medikament zur Behandlung muss intravenös verabreicht werden – doch die Anwendung ist für viele Betroffenen schwierig und manchmal nicht rechtzeitig möglich. Seit 2017 bietet CSL Behring eine neuartige subkutane Injektion des C1-Inhibitors an. Diese kann das plötzliche Auftreten eines Schubs verhindern und wird daher prophylaktisch angewandt. „Patienten können sich das nebenwirkungsarme Präparat direkt selbst unter die Haut spritzen und sind damit weitestgehend vor weiteren Attacken geschützt. So können Sie ein beschwerdefreies Leben führen. Mit einem zusätzlichen Notfallkit fühlen sie sich beispielsweise die Patienten auch auf Reisen sicher – im Fall dennoch auftretender unerwarteter Attacken“, erläutert Dr. Thomas Machnig, Director Global Medical Affairs von CSL Behring in Marburg.

Der Clou an der Herstellung dieses Medikaments: Mithilfe eines komplexen Verfahrens wird das Protein aus Blutspenden gesunder Menschen herausgefiltert. „Unsere Mitarbeiter zerlegen das tiefgefrorene Blutplasma in der sogenannten Basisfraktionierung in seine Bestandteile. Insgesamt sieben verschiedene Fraktionen werden mittels biotechnischer Verfahren aus dem Plasma herausgelöst, um anschließend das lebenserhaltende Medikament weiterzuverarbeiten“, sagte Dr. Thomas Machnig.

„Patienten können sich das nebenwirkungsarme Präparat direkt selbst unter die Haut spritzen und so ein beschwerdefreies Leben führen."
Thomas Machnig
Thomas Machnig
Director Global Medical Affairs bei CSL Behring

Historie: 40 Jahre humanes C1-Inhibitor Konzentrat

1978: Zulassung des weltweit ersten humanen C1-Inhibitor Konzentrats von CSL Behring in Deutschland zur intravenösen Infusion.

2017: Zulassung des weltweit ersten humanen C1-Inhibitor Konzentrats von CSL Behring in den USA zur subkutanen Dauerprophylaxe. Diese neuartige Prophylaxe erlaubt es schwer betroffenen HAE Patienten wieder ein nahezu normales Leben zu führen. Mit der Entwicklung des subkutanen C1-Inhibitor Konzentrates ist damit ein Durchbruch in der Therapie des HAE gelungen.

Große Investition in Basisfraktionierung stärkt Standort Marburg

CSL Behring stellt durch Basisfraktionierung von Blutplasma Arzneimittel her, die in mehr als 100 Ländern bei schweren und seltenen Erkrankungen eingesetzt werden – die meisten Medikamente produziert das Unternehmen direkt in Marburg. „Wir sind momentan das einzige Biotechnologie-Unternehmen auf der Welt, das 17 verschiedene Produktlinien aus einem Liter Blutplasma herstellen kann“, sagt Michael Schröder, Geschäftsführer und Standortleiter von CSL Behring Marburg. Häufig handelt es sich um seltene Krankheiten, die lebensbedrohlich sein können. Neben HAE gehören dazu zum Beispiel die Bluterkrankheit Hämophilie und Primäre Immundefizienz (PID).

Um den weltweiten Bedarf an lebensrettenden Arzneimitteln noch besser abzudecken, entsteht am Standort Marburg gerade eine riesige Produktionsstätte zur Fraktionierung von Blutplasma namens „Phoenix”. Ein Teilprojekt der neuen Großanlage verfolgt das Ziel, eine größere Menge der Medikamente zur Behandlung des Hereditären Angioödems (HAE) zu produzieren. „Wir erhöhen unsere Kapazitäten, um genügend CR1-Proteine herzustellen – und zukünftig noch mehr Menschen helfen zu können“, so Schröder. 185 Millionen Euro fließen in diesen Teil des Projekts mit dem Namen “Sphinx”, das 2023 in Betrieb gehen soll.

Das Gesamtvolumen der Investition von mehr als 500 Millionen Euro unterstreicht den hohen Stellenwert, den der australische Mutterkonzern von CSL Behring dem Standort beimisst. „Mit der neuen Basisfraktionierung in Marburg halten wir auch in Zukunft unser Versprechen, Patienten mit schweren, seltenen Erkrankungen mit lebenswichtigen Medikamenten zu versorgen und ihre Lebensqualität beständig zu verbessern”, sagt Paul Perreault, CEO der Unternehmensgruppe CSL.

Mit 2.900 Mitarbeitern ist in Marburg der größte Standort der CSL Gruppe. (Foto: CSL Behring)

Das Wohl von Patienten mit seltenen Erkrankungen vor Augen

Regelmäßig berichten Patienten vor Ort, wie sich ihr Leben durch das Medikament verändert hat. „Wir sehen die Erleichterung in den Augen unserer Patienten, deren Alltag sich seit Einnahme der Medikamente dramatisch verbessert hat. Das ist für uns die größte Motivation“, sagt Schröder.

Auch HAE-Patientin Cheryl verdankt den Medikamenten eine bessere Lebensqualität. Ihren beschwerdefreien Alltag weiß sie heute umso mehr zu schätzen. „Dank des richtigen Medikaments, beeinträchtigt mich meine Krankheit nicht mehr länger. Ich kann ganz normal zur Arbeit gehen, Freunde treffen und das Leben genießen.“

Firmenporträt

CSL Behring

Als weltweit führendes Biotechnologie-Unternehmen entwickelt CSL Behring seit über 100 Jahren Biotherapeutika für Patienten mit schweren, seltenen Erkrankungen. CSL Limited beschäftigt weltweit über 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon arbeiten mehr als 2.900 in Deutschland, hauptsächlich an zwei Standorten in Hessen: Marburg und Hattersheim.

Schon heute ist Marburg der größte Forschungs- und Produktionsstandort von CSL Behring. Aufgrund hoher Wachstumszahlen und der weltweit gestiegenen Nachfrage nach Marburger Medikamenten erweitert die Unternehmensgruppe aber noch einmal die Standortkapazitäten: Mit einem Investitionsvolumen von insgesamt etwa 500 Millionen Euro entstehen in Marburg gerade neue Produktionsstätten rund um die Basisfraktionierung von Blutplasma.