KI in der Medizin: Ein Gewinn für Ärzte und Patienten

Künstliche Intelligenz (KI) macht die Medizin effizienter und besser. Profitieren werden vor allem die Patienten. Denn sie rücken ins Zentrum gesundheitsmedizinischer Angebote wie KI-gestützter Diagnostik-Tools und Monitoring-Apps. Zudem werden Ärzte, Pfleger und Therapeuten dank Videosprechstunden und digitalem Praxis-Management wieder mehr Zeit für ihre Patienten haben. Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung im Gesundheitswesen vielerorts zum Durchbruch verholfen. In Mittelhessen waren die Weichen aber schon früh auf die “Digitale Medizin der Zukunft” gestellt.

 

Foto: Pixabay

Die Medizin der Zukunft ist ein Miteinander: reale und virtuelle Medizin, Ärzte und IT-Experten, Patienten und digitale Apps. Profitieren werden davon alle Beteiligten im Gesundheitssektor. “Letztendlich wird sich das Verhältnis zwischen Patient und Arzt verbessern”, sagt Prof. Dr. Martin Hirsch, Direktor des Instituts für Künstliche Intelligenz in der Medizin an der Philipps-Universität Marburg. Denn die neuen digitalen Werkzeuge ermöglichen es, dass Ärzte seltene Erkrankungen oder untypische Krankheitsbilder schneller erkennen. “Ärzte werden es ernster nehmen, wenn Patienten Gesundheitsdaten selbst messen, etwa über ihr Smartphone, und sich vorab über eine KI informiert haben”, erklärt Hirsch. Der Humanbiologie mit Promotion in den Neurowissenschaften baut in Marburg das „Zentrum für Digitale Medizin“ auf. Unter seiner Leitung wurde die Web-App Covid-online entwickelt, die Bürgern der Region als digitales Leitsystem gilt, wenn sie Symptome einer COVID19-Erkrankung verspüren. Außerdem hat er langjährige Erfahrung mit digitalen Tools, die den Bedarf an personalisierten Informationen decken. Unter anderem gründete er Ada Health in Berlin. Hirsch: “Personalisierung kann über Devices wie das Smartphone und mit Unterstützung durch KI besser erfolgen als über statische Medien.“ 

0
Milliarden Euro beträgt das prognostizierte Marktvolumen in der EU für digitale Produkte und Dienstleistungen bis zum Jahr 2025.

Prognosen bescheinigen KI im Gesundheitswesen enormes Potenzial

Das Potenzial von KI im Gesundheitswesen ist enorm: So prognostiziert die Roland-Berger-Untersuchung „Future of Health 2 – The rise of healthcare platforms” ein EU-weites Marktvolumen für digitale Produkte und Dienstleistungen von etwa 232 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 – ein Plus von fast 50 Prozent im Vergleich zur Prognose vom Vorjahr. COVID-19 hat die Digitalisierung der Branche nach Ansicht der Experten von Roland Berger um mindestens zwei Jahre beschleunigt. Auch die Analysten von Markets-and-Markets rechnen mit einem Wachstum bis 2025 um jährlich über 50 Prozent. Nach ihren Berechnungen lag der KI-Umsatz weltweit im Jahr 2019 bereits bei zwei Milliarden US-Dollar. Die Anwendung der KI für eine verbesserte Gesundheitsversorgung geht dabei weit über eine klinische Anwendung hinaus: Die Autoren eines im Harvard Business Review erschienenen Artikels vertreten sogar die Ansicht, dass der größte Wert von KI nicht in der Unterstützung der klinischen Entscheidungsfindung liegt, sondern in der kognitiven Unterstützung von Routine-Interaktionen. Kognitiven virtuellen Assistenten, die dialogorientiert sind und bei denen mit jeder Interaktion die Anzahl der Funktionen steigt, die sie übernehmen können, wird eine große Zukunft vorausgesagt: Ärzte und Pflegefachkräfte sollen hiermit von Routinetätigkeiten und administrativen Prozessen entlastet und bei der Planung und Durchführung von medizinischen und pflegerischen Interventionen unterstützt werden. Patienten wiederum hätten durch den virtuellen Assistenten rund um die Uhr Zugriff auf Routine-Informationen und Unterstützung.

„Künstliche Intelligenz wird die Gesundheitsversorgung grundlegend verändern, indem sie Erkrankte bereits zuhause ohne Zeitdruck und mit viel Hintergrundwissen personalisiert berät, und danach in Praxen und Kliniken Ärzte bei Diagnose und Therapie aktiv unterstützt.”
Prof. Dr. Martin Hirsch
Direktor des Instituts für Künstliche Intelligenz in der Medizin an der Philipps-Universität Marburg

Mittelhessen als Modellregion für KI-gestützte Gesundheit

Mithilfe von KI können aber vor allem Daten, die intelligente Maschinen und smarte Produkte sammeln, sinnvoll verknüpft und analysiert werden. Aus dem gewonnenen Wissen entstehen neue, effizientere Produkte und Dienstleistungen. Aber: Eine richtige KI lernt nicht nur aus Daten. Viele Probleme scheinen so individuell, dass es gar nicht genug Datensätze gebe, um die KI zu trainieren: “Wenn ich die personalisierte Medizin ernst nehme, muss ich der KI eine Grundform von Verstehen beibringen und sie argumentfähig machen”, sagt Hirsch. Erst dann könne sie angemessen mit einer individuellen Situation umgehen. “Intelligenz ist ja die Fähigkeit, in einer Situation zu bestehen, die ich noch nicht kenne”, so der Professor für Künstliche Intelligenz in der Medizin. 

Apps und andere Systeme sollten zum Wohl der Patienten genutzt werden. Dabei steht aber nicht nur der technologische Fortschritt auf dem Prüfstand, sondern es geht auch um Ethik und Vertrauenswürdigkeit, Verantwortungs- und Zulassungsfragen sowie um das Bild des Arztes in der Gesellschaft und die Ausbildung zukünftiger Ärzte. „Die Debatte um KI in der Medizin darf nicht nur eine technologische sein, sondern muss alle Facetten ärztlichen Handelns einschließen“, sagt Hirsch. Das gehe nur gemeinsam mit Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen und in einem breiten Diskurs. Mittelhessen eignet sich aus seiner Sicht bestens für den Aufbau einer Modellregion für KI-gestützte Gesundheit. 

“Mit Martin Hirsch haben wir einen der internationalen Medizin-KI-Pioniere nach Marburg geholt”, erklärt Dr. Helmut Schäfer, Dekan des Fachbereichs Medizin der Philipps-Universität Marburg. An der Grenze zwischen Medizin und Informatik werden so in der Modellregion neue Studiengänge und Ausbildungsformate entstehen: „Die Professur für Künstliche Intelligenz in der Medizin ist für die Philipps-Universität ein wichtiger Baustein im Zusammenwirken von technischer Innovation und gesellschaftlicher Verantwortung“, sagt Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause. „Mit dem Aufbau des Zentrums für Digitale Medizin beweist die Universität Marburg, dass sie auch in diesem Bereich der Digitalisierung bereit ist, eine verantwortungsvolle Vorreiterrolle einzunehmen.” Und Dekan Schäfer ist sich sicher: „Die Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Medizin werden, wissenschaftlich evaluiert und in der Hand von geschulten Ärztinnen und Ärzten und informierten Patientinnen und Patienten, zu einer noch besseren Medizin führen.” 

Digitale Transformation an Kliniken hat gerade erst begonnen

Das Spektrum an Angeboten reicht dabei von Telemedizin und Workflow-Management-Tools für Krankenhäusern und Arztpraxen über KI-Software für die Diagnostik, Robotik und KI im OP bis hin zur “Digitalisierung” der Patienten, die mittels Wearables etwa Gesundheitsdaten generieren. Während Monitoring-Apps und Video-Sprechstunden bereits zum Alltag vieler Patienten mit akuten oder chronischen Erkrankungen gehören, reicht das Ziel der digitalen Transformation noch viel weiter, wie Radiologe und KI-Experte PD Dr. Felix Nensa vom Smart Hospital Essen erklärt: “Wir machen die Medizin nicht nur besser, sondern auch wieder menschlicher.” Im Smart Hospital werden viele Routinetätigkeiten an diverse Software-Assistenten mit kompatiblen Schnittstellen delegiert. Das medizinische Personal kommuniziert digital mit Tablet und Messenger. 

Auch das Uniklinikum Gießen-Marburg (UKGM) ist auf dem Weg, mittels Digitalisierung eine zeitgemäße und optimale Versorgung der Patienten zu ermöglichen: „Künstliche Intelligenz erleichtert uns jetzt schon den medizinischen Alltag”, sagt Prof. Harald Renz, ärztlicher Geschäftsführer der Uniklinik Marburg. “Ich bin überzeugt, dass KI künftig weit größere Aufgabenfelder übernehmen wird.” Ein Beispiel: Bei einem Notfall übermittelt die Software eines Tablets alle Patientendaten aus dem Krankenwagen direkt ins Krankenhaus. So sind die Ärzte bei Ankunft des Patienten optimal vorbereitet. Das ist eines der digitalen Projekte, die das UKGM Marburg in Zukunft angehen möchte. 

Förderung von E-Health und Telemedizin für Mittelhessen

„Die digitale Transformation bedeutet für mich Fortschritt in der Patientenversorgung und Entlastung für medizinisches Personal”, erläutert auch Armin Häuser, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für Telemedizin und E-Health Hessen. Seine Arbeit konzentriert sich vor allem auf die sektorenübergreifende elektronische Kommunikation, neue und bedarfsgerechte Versorgungsformen und bedarfsgerechte Versorgungsketten. Das Ziel: Ärzte und Ärztenetze, Krankenhäuser, Krankenkassen, Apotheken und Sanitätshäuser, Reha-Zentren, Pflegeeinrichtungen und Rettungsdienste noch besser zu vernetzen. “Telemedizin und E-Health sind hierfür nicht die alleinige Lösung, aber ein guter und wichtiger Ansatz”, sagt Häuser. Denn während immer mehr Menschen immer älter werden, leidet das Gesundheitssystem unter Fachkräftemangel und muss effizient arbeiten. 

Förder- und Beratungsbedarf je nach Unternehmensgröße sicherstellen

“Gerade deshalb legen wir als Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft des Landes Hessen großen Wert darauf, die Chancen des digitalen Wandels im Gesundheitswesen nicht zu verpassen und fördern die nachhaltige Weiterentwicklung hessischer Unternehmen”, sagt Dr. Rainer Waldschmidt, Geschäftsführer der Hessen Trade & Invest GmbH (HTAI) – die Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft des Landes Hessen. Dabei haben er und seine Mitarbeiter die unterschiedlichen Förder- und Beratungsbedürfnisse im Blick: Junge innovative Start-ups benötigen Kapital, nicht nur bei der Gründung, sondern insbesondere um auf dem Weltmarkt zu wachsen. Für kleine und mittlere Unternehmen sind digitale Kompetenzen und digital geschulte Mitarbeiter ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Und in der Industrie können intelligente Produktionsverfahren eine höhere Produktivität und Effizienz erzielen. 

“In Mittelhessen tut sich was”, so auch die Wahrnehmung von Prof. Dr. Martin Przewloka, Professor für Technologien und moderne Wirtschaftsinformatik an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM). Er hat das Start-Up 1ACare daher bewusst mit Sitz in Gießen gegründet und damit eine Vertriebsplattform entwickelt, die Sanitätshäuser und ihre Kunden digital zusammenbringt. “Ich persönlich sehe die größte Chance der Digitalisierung darin, dass sie den Menschen hilft besser mit ihrer Erkrankung zurecht zu kommen”, sagt Przewloka. Da das menschliche Gehirn begrenzte Speicherkapazitäten habe, spricht aus seiner Sicht nichts dagegen, einen leistungsfähigen Computer schneller und besser Datenmuster analysieren und akkuratere Entscheidungen treffen zu lassen. “Wir nutzen die Maschinen zur Unterstützung und gewinnen so wiederum Zeit für die eigentliche Arbeit am Patienten.”

Bis das auf allen Ebenen im Gesundheitswesen Realität wird, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Aber der Weg dorthin ist vorgezeichnet. Und viele Player in Mittelhessen sind ganz vorne mit dabei.

KI und Big Data: Ordnung im Datendschungel

Täglich werden Millionen medizinischer Daten und Patienteninformationen gespeichert. Mithilfe von leistungsstarken Rechnern und intelligenten Algorithmen können diese enormen Datenmengen – Big Data – effektiv ausgewertet und somit einem optimalen Nutzen für den Patienten zugeführt werden. „Die Medizininformatik ist heute in der Lage, riesige Datenmengen zu verarbeiten. Für die Zukunft der Medizin ergeben sich daraus ganz neue Perspektiven. Wir können so zum Beispiel aus der Analyse von anonymisierten Patientendatenbanken Schlüsse für die individuelle Therapie ziehen“, erläutert Prof. Dr. Keywan Sohrabi vom Fachbereich Gesundheit an der THM. 

Immer mehr Patienten sind auch bereit, ihre anonymisierten Daten für die Forschung an neuen Therapien zur Verfügung zu stellen. Für den einzelnen Arzt scheint es allerdings mittlerweile unmögliche alle Daten im Blick zu behalten oder gar auswerten zu können. KI-Tools werden so zu Assistenten: Sie liefern etwa bei der Prävention und Nachkontrolle wertvolle Hinweise und kontrollieren, dass nichts übersehen wird. 

Das Gießener Auftragsforschungsinstitut Alcedis GmbH verknüpft Big Data mit klinischen Studien. Das Ziel: Arzneimittel zur Zulassungsreife zu bringen und für Ärzte und Patienten zugänglich zu machen. „Wir bieten unseren Kunden maßgeschneiderte Software-Lösungen, um sie bestmöglich bei der Auswertung von Studiendaten zu unterstützen”, sagt Hanno Härtlein, Geschäftsführer der Alcedis GmbH. „Die Digitalisierung hilft hier beispielsweise schnellere Aussagen über Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln zu treffen, da bestimmte Prozesse deutlich beschleunigt werden.