Künstliche Intelligenz: Berufskrankheiten frühzeitig vorbeugen

Künstliche Intelligenz (KI) hält zunehmend Einzug in das Arbeitsleben. Professor Dr. Martin Przewloka hat kürzlich einen Hauptpreis im Kontext KI und Arbeitsleben gewonnen: Sein Projekt “Intelligenter, digitaler Begleiter für präventives Arbeiten” wurde beim Ideenwettbewerb der Civic Innovation Plattform in der Kategorie Arbeit & Partizipation ausgezeichnet. Im Interview erläutert Prof. Dr. Martin Przewloka das Projekt und seine Sicht auf KI.

Was genau verbirgt sich hinter dem Projekt “Intelligenter, digitaler Begleiter für
präventives Arbeiten”?

Professor Dr. Martin Przewloka:
Grundlegend könnte man sagen: Wir wollen Daten rund um das Wohlbefinden eines
Menschen sammeln und nutzen, um präventive Maßnahmen ergreifen zu können.
Mittels des Einsatzes Künstlicher Intelligenz wird eine Anwendung realisiert, die
datengestützt – bei maximaler Datenschutzkonformität – individuelle, gesundheitliche
Risiken im Berufsumfeld identifiziert und gleichermaßen wirksame Prävention – also
Vermeidungsstrategien – aufzeigt. Als digitaler Begleiter kann diese Lösung helfen,
frühzeitig Risiken von Berufskrankheiten zu erkennen, wie sich diese aus einem
komplexen Zusammenspiel aller einflussnehmenden Parameter ergeben. Dazu zählen
unter anderem der Weg zum und vom Arbeitsplatz, die Bedingungen und das Umfeld
im Beruf, individuelle Dispositionen, demografische Merkmale und vieles mehr.

Welchen konkreten Nutzen sehen Sie für die Wirtschaft und für den Alltag von
Arbeitnehmern?

Einen wichtigen Nutzen stellt die Früherkennung von Berufskrankheiten dar. Wenn
sich bereits frühzeitig Anzeichen dafür erkennen lassen, können wir zielgerichteter
Präventionsmaßnahmen ergreifen. Das bedeutet auch Wettbewerbsvorteile für
Unternehmen, die Maßnahmen zur Vermeidung ergreifen und sich hier fortschrittlich
positionieren. Und Arbeitnehmer können aufrgund von Verhaltensänderungen im
Sinne einer nachhaltigen gesundheitsfördernden Lebensweise ebenfalls einen großen
Nutzen daraus ziehen.

Welche Berufsgruppen sprechen Sie mit ihrem Projekt an?

Grundsätzlich ist das Projekt für alle Berufsgruppen relevant. Zunächst werden wir
aber mit den Bereichen starten, in denen Menschen mit Bildschirm- oder
Heimarbeitsplätze einen hohen Anteil ihrer Arbeitszeit sitzend oder stehend
ausführen.

Wie sammeln Sie die notwendigen Daten?

Das zugrundeliegende Modell wird vor allem auf Daten gestützt, die sich aus drei Quellen
ziehen. Zum einen nutzen wir allgemeine Daten aus Studien und wissenschaftlichen
Quellen. Zudem setzen wir auch auf anonymisierte Daten agglomeriert aus den Nutzerdaten
zum Beispiel “Verhalten” und “Scoring” der Nutzer und wir nutzen individuelle Daten wie
Bewegungsdaten, Erhebungsdaten sowie Umfelddaten wie beispielsweise Lärm und Licht.
Die Daten werden aus den hierzu entsprechenden Quellen generiert, unter anderem auch
durch den Einsatz geeigneter Sensorik wie diese beispielsweise in einem Smartphone
vorhanden ist.

Wie lassen sich daraus dann präventive Maßnahmen ableiten?

Mit Methoden der KI (Künstliche Intelligenz) wird ein Modell generiert, welches sich
kontinuierlich über die historischen wie auch aktuellen Daten weiterentwickelt also
hinzulernt. Die Ableitung präventiver Maßnahmen nutzt Daten aus der Medizin und
Forschung, um hieraus Präventionsempfehlungen zu geben. Gleichermaßen
werden aber auch die Verlaufsdaten des Users genutzt – also Verbesserung oder
Verschlechterung –, um hiermit ebenfalls durch den Einsatz des lernenden
Algorithmus die wirksamen von den weniger wirksamen Maßnahmen zu
differenzieren.

Welchen Zeithorizont/welche Meilensteine haben sie sich gesteckt für Ihr Projekt?

Aktuell arbeiten wir daran das Projekt konkret zu spezifizieren, um hieraus einen
förderfähigen Antrag beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zu
generieren. Kleinere Vorarbeiten wie beispielsweise die Prototypisierung von
Datengenerierungswerkzeugen werden ebenfalls erfolgen. Wird der Antrag positiv
beschieden – Zeithorizont ist hierbei Ende 2021 – soll die Umsetzung des Projekts
erfolgen.

Wann werden wir die Ergebnisse für die Praxis nutzen können?

Nun, wenn alles wie geplant läuft, dann sollte die Pilotierung-Phase zwölf bis 18
Monate nach Projektstart abgeschlossen sein. Das bedeutet etwa ab Ende 2022 oder
Beginn 2023.

Was hat Sie zu diesem Projekt inspiriert?

Wir haben hervorragende Ergebnisse in der automatisierten Vorhersage
unerwünschter Nebenwirkungen im Kontext klinischer Medikamentenstudien erzielt.
Das hat uns dazu bewogen, weitere Anwendungsfälle hierfür zu identifizieren. Die
Übertragung in Richtung Beruf bzw. Berufskrankheiten war dabei die
vielversprechendste Idee.

Wo kann aus Ihrer Sicht KI unseren Arbeitsalltag verbessern?

Sicherlich in allen Lebensbereichen, in denen wir den Einsatz eines digitalen
Assistenten akzeptieren. Dies betrifft nicht nur den hier beschriebenen
Anwendungsfall, sondern geht natürlich auch in die Verrichtung der Arbeitstätigkeiten
über. Aus meiner Sicht ist der Bereich der monotonen, wenig kreativen und
unangenehmen Tätigkeiten hierfür prädestiniert. Diese Form der Automatisierung, die
im Gegensatz der Fließbandautomatisierung, auch bspw. ein Entscheidungsverhalten
inkludiert, bietet sich sofort an. Stellen Sie sich bspw. die
Massenwareneingangskontrolle im Rahmen einer Sichtprüfung vor. Hier kann eine
intelligente, smarte Bildverarbeitung den Arbeiter entlasten und Mehrwert für Alle
liefern.

Welche Chancen und Risiken sehen Sie in einer breiten Nutzung von KI im
Arbeitsleben?

Die Chancen liegen in der Entlastung der Arbeiten, der Flexibilisierung und
Effizienzsteigerung. Dies führt zu Wettbewerbsvorteilen für die heimische Wirtschaft.
Die Gefahren bestehen aus meiner Sicht nicht in den so oft zitierten Verlusten der
Arbeitsplätze. Hier wird es sicherlich zu Verschiebungen kommen, aber nicht zu
volkswirtschaftlichen Effekten einer hieraus resultierenden Steigerung der
Arbeitslosenquote. Im Gegenteil! Die Gefahr sehe ich vielmehr an zwei Stellen: 1.
Überschätzung und nicht zielgerichtete Anwendung dieser Technologie, damit
einhergehend auch die steigende Komplexität der Systeme und 2. Potenzielle
Ausgrenzung von Menschen, die mit diesen Technologien nicht Schritt halten können.
Letzteres kann bildungsseitig aber auch gesundheitlich bedingt sein.

Wo sehen Sie das größte Potenzial für KI-Anwendungen in den kommenden fünf
Jahren?

Primär zunächst in der Prozessautomatisierung für alle Industriesegmente. Sowohl in
der Produktion wie auch im Dienstleistungssektor.

Welche Arbeitsbereiche wird KI Ihrer Meinung nach am wenigsten tangieren –
und warum?

Die Kannibalisierung oder den Ersatz von gesamten Wertschöpfungsbereichen. Der
gelegentlich zitierte Wegfall des Steuerberaters, des Finanzberaters, des
Rechtsberaters oder des Verkäufers wird nicht stattfinden.

 

Prof. Dr. Martin Przewloka:

Prof. Dr. Martin Przewloka zählt zu den Meinungsführern und Vordenkern in der
Konzeptionierung, Umsetzung und Folgenabschätzung Digitaler Transformationen über
sämtliche Industriebereiche hinweg. Hierzu zählen auch die Prinzipien der sogenannten „Industrie 4.0“, des „Internets der Dinge“ und der Schaffung Digitaler Assistenzsysteme: von
der Vision bis hin zur praktischen Realisierung. Er blickt heute auf 30 Jahre Berufserfahrung
als Manager, Unternehmer und Wissenschaftler zurück. Sämtliche Stationen seines
Lebenslaufs sind von der Evaluierung und Adaption neuer Technologien geprägt, mit dem
Ziel, Mehrwerte für den Kunden zu schaffen. Die Anwendung und Nutzung der Methoden
der Künstlichen Intelligenz begleitet ihn beinahe sein gesamtes Berufsleben, wenngleich die
Bedeutung und Präsenz dieser Technologie gerade in den letzten fünf Jahren signifikant
zugenommen hat.

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