Forschungsallianz: Im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen

Obwohl gegen Infektionskrankheiten schlagkräftige Medikamente existieren, wächst eine neue Gefahr: Besonders in den Industrieländern bedroht die Resistenzbildung gegen Antibiotika und neu auftretende Erreger das Leben der Menschen. Experten zeigen Szenarien, bei denen bis 2050 weltweit mit rund zehn Millionen Toten pro Jahr – als Folge von antibiotikaresistenten Bakterien – zu rechnen ist. Auch in Mittelhessen stellen sich Forscher dem Kampf gegen die Resistenzen und suchen neue Wege zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten.

Dr. Imirzalioglu und Dr. Linda Falgenhauer
Dr. med. Imirzalioglu und Dr. Falgenhauer untersuchen die Resistenzmechanismen ausgewählter Bakterien.

Ein globaler Gesundheitshelfer ist in Gefahr: Seit Jahrzehnten retteten Antibiotika Millionen von Menschenleben – bakterielle Infektionen stellen seit der Etablierung von Medikamenten heute in weiten Teilen der Erde keine tödliche Bedrohung mehr dar. Was die Entdecker des Antibiotikums Penicillin, Alexander Fleming, und andere Wissenschaftler aber damals nicht ahnten, waren bakterielle Mutationen. Denn Bakterien verfügen über geschickte Strategien, um Antibiotika wirkungslos zu machen. Solche Resistenzmechanismen machen Medizinern weltweit zu schaffen – und fordern auch immer öfter Todesopfer. Wissenschaftler rund um den Globus suchen aus diesem Grund nach neuen Antibiotika mit unterschiedlichen Wirkungsweisen, bislang aber mit mäßigem Erfolg: Die Zahl der Resistenzen steigt weiter. Heute sind Antibiotikaresistenzen ein weltweites Problem. Bakterielle Infektionen bedrohen wieder Menschenleben, gefährden die Ernährungssicherheit und damit sogar die menschliche Entwicklung. Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, (ECDC) sterben allein in Europa jährlich rund 33.000 Menschen als direkte Folge einer Infektion durch antibiotikaresistente Bakterien.

Menschen sterben jährlich laut ECDC in Europa, als direkte Folge einer Infektion durch antibiotikaresistente Bakterien.
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Globale Zusammenarbeit erforderlich

Um diese globale Bedrohung zu bekämpfen, müssen neue antimikrobielle Arzneimittel entwickelt werden. Gesundheitsexperten und Regierungen vieler Länder stufen die wachsende Resistenzlage von Bakterien als gefährlich ein – deshalb ist eine globale Zusammenarbeit und ein koordiniertes Vorgehen zwischen verschiedenen Interessengruppen von Institutionen, Hochschulen und Industrie unabdingbar. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), ein Zusammenschluss von mehr als 500 Wissenschaftlern, an 35 Instituten und sieben Standorten, die gemeinsam neue Ansätze zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten entwickeln. Das DZIF wurde 2012 auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gegründet und ist führend im Kampf gegen die häufigsten Infektionskrankheiten. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Forschungsteams soll eine schnelle und effektive Umsetzung der Forschungsergebnisse aus den Labors in die klinische Praxis gewährleisten.

„Wir wollen einen besseren Einblick in das Genom dieser Krankheitserreger bekommen und verstehen, wie und warum sie sich ausbreiten und aus welchem Grund Resistenzen entstehen.“
PD Dr. med. Can Imirzalioglu
Dr. med. Can Imirzalioglu
Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie

In Mittelhessen konzentrieren sich Forscher des DZIF auf die Entwicklung neuer Strategien zur Bekämpfung häufig auftretender Infektionskrankheiten. Die beteiligten Institutionen stellen für die DZIF-Projekte unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung, wie das Hochsicherheitslabor in Marburg und ein Labor am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen. Das PEI in Langen bringt auch seine Expertise in der Arzneimittelzulassung und -entwicklung ein, um einen schnellen Transfer neuer Erkenntnisse in die Praxis zu gewährleisten: „Die Prävention und Kontrolle der Antibiotikaresistenz hat hohe Priorität“, sagt Dr. Can Imirzalioglu, ärztlicher Leiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen, einem der DZIF-Partner. „Es gibt mehrere internationale Initiativen, die darauf abzielen, das Bewusstsein zu schärfen und die Erforschung von Infektionskrankheiten zu stärken“, so der Wissenschaftler. Wichtig ist jedoch immer, dass alle Initiativen koordiniert werden, denn: „Wenn Forscher nur in einem einzelnen Bereich für sich selbst arbeiten, wird kein signifikanter Fortschritt möglich sein”, sagt Imirzalioglu.

Mit der Genomanalyse Infektionskrankheiten bekämpfen

Das Team um Dr. Imirzalioglu arbeitet mit lokalen, nationalen und internationalen Institutionen zusammen, um antimikrobielle Resistenzmechanismen zu untersuchen. „Innerhalb des DZIF konzentrieren wir unsere Forschung auf multiresistente gramnegative Krankheitserreger, die eine Schlüsselrolle bei der Antibiotikaresistenz innerhalb und außerhalb des Krankenhauses spielen“, erklärt Imirzalioglu. Das Ziel der Forscher: „Wir wollen einen besseren Einblick in das Genom dieser Krankheitserreger bekommen und verstehen, wie und warum sie sich ausbreiten und aus welchem Grund Resistenzen entstehen.“

Wissenschaftler am Universitätsklinikum Gießen untersuchen Bakterien, wie Escherichia coli, um ihre Resistenzmechanismen besser zu verstehen.
Wissenschaftler am Universitätsklinikum Gießen untersuchen Bakterien, wie Escherichia coli, um ihre Resistenzmechanismen besser zu verstehen.

Dazu untersuchen die Wissenschaftler Bakterien wie Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae, die sich als multiresistente Erreger bereits im Magen-Darm-Trakt bei bis zu zehn Prozent aller Menschen finden. Die Mikroorganismen führen bei Betroffenen in der Regel zu keiner gestörten Darmflora, bleiben oft unbemerkt und sind antibiotikaresistent. Nach Operationen oder während eines Krankenhausaufenthaltes können diese Bakterien dann Infektionen verursachen oder sich auf andere Patienten ausbreiten. Für die Forscher ist es deshalb entscheidend, diese Krankheitserreger zu erkennen und zu verstehen, warum sie sich schneller ausbreiten können als andere Bakterien – und wie sie ihre Resistenzmechanismen auf andere Mikroorganismen übertragen. „Im menschlichen Darm kann ein resistenter Escherichia coli neben einer nicht resistenten Klebsiella sitzen und die Resistenzmechanismen weitergeben“, erklärt Imirzalioglu. Mit Hilfe der Genomanalyse können er und seine Forscherkollegen diesen Prozess besser verstehen und neue Ansätze zur Prävention und Behandlung von Antibiotikaresistenzen finden. Die Untersuchung solcher hochdetaillierter genomischer Daten erfordert eine enge Zusammenarbeit mit Bioinformatikern. Künftig wollen die Wissenschaftler auch Ansätze der künstlichen Intelligenz berücksichtigen, um komplexe Analysen zu erleichtern. Imirzalioglu: „Mit künstlicher Intelligenz könnten wir die Genomsequenzierung in den klinischen Alltag einbringen.“ Kooperationsansätze und neue Technologien unterstützen die mittelhessischen Forscher im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen – damit durch Antibiotika weiterhin Leben gerettet werden kann.

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