Sie ist Biochemikerin, Medizinerin und seit Januar 2020 auch Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Prof. Dr. Katja Becker hat ihr Forscherleben vor allem einem Ziel gewidmet: neue Wirkstoffe und Diagnostika gegen armutsassoziierte und vernachlässigte Infektionskrankheiten zu entwickeln. Davor war sie vor allem als Koordinatorin des LOEWE-Zentrum DRUID tätig. Im Interview spricht die Naturwissenschaftlerin über ihre Motivation, ihre wissenschaftlichen Erfolge und warum Mittelhessen ein guter Forschungsstandort ist.
Warum haben Sie sich entschieden Ihr Leben der Forschung über armutsassoziierten und vernachlässigten Krankheiten zu widmen?
Prof. Katja Becker: Mein Leben lang habe ich mich schon für die Belange von Menschen engagiert, die nicht zu den privilegierten Gruppen auf unserer Welt gehören. Ich wollte auch immer Ärztin werden und habe deshalb Medizin an der Universität Heidelberg studiert. Und schon als Studentin war ich viel unterwegs zum Beispiel auf den Freundschaftsinseln und mit dem Flying Doctors Service in Australien. Ich hatte dann Gelegenheit meine Doktorarbeit im Bereich der Malariaforschung durchzuführen und habe in Kliniken in Ghana und Nigeria gearbeitet. Als ich die Menschen in diesen Ländern näher kennengelernt habe, wurde mir schnell klar, dass ich mich dieser Thematik gerne noch stärker widmen möchte. Daher gab es für mich eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder vor Ort zum Beispiel in einer Klinik in Afrika zu engagieren oder in die Wissenschaft zu gehen und über Infektionskrankheiten zu forschen. Als mir dann in Heidelberg eine Habilitationsstelle in der Biochemie angeboten wurde, war für mich der Weg in die Wissenschaft gebahnt. Und Forschung macht mir einfach auch Spaß, vor allem der Austausch mit vielen Menschen.
Was würden Sie als die wichtigsten Forschungsergebnisse in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn bezeichnen?
Prof. Katja Becker: Im Prinzip habe ich drei größere Forschungslinien verfolgt. Das Grundmotiv, das allem zugrunde liegt, ist der zelluläre Stoffwechsel und das Gleichgewicht zwischen oxidativem Stress und antioxidativer Kapazität. Durch oxidativen Stress werden Sauerstoffradikale erzeugt, die permanent auf unseren Körper und auf unsere Zellen einwirken. Dagegen haben Zellen eine ganze Reihe von antioxidativen Schutzmechanismen etabliert. Wenn man dieses Gleichgewicht stört, kann man sehr empfindliche Stellen bei schnell wachsenden und sich schnell teilenden Zellen wie Tumorzellen oder Infektionserreger treffen. Damit werden neue Wege für die Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs oder Infektionserreger eröffnet. Zum einen konnten wir in dem Modellorganismus Drosophila melanogaster, der Taufliege, den Stoffwechsel sehr gut charakterisieren und dort einen Schlüsselpunkt des Redox-Stoffwechsels identifizieren. Das zweite Ergebnis, über das ich mich besonders freue, ist die grundlegende Charakterisierung des Redox-Stoffwechsels der Malaria-Parasiten. Und das dritte Ergebnis basiert eigentlich auf einer Studie die wir in Ghana und Nigeria mit unternährten Kindern durchgeführt haben. Wir konnten zeigen, dass diese Kinder, die überall Ödeme entwickeln, eine ganz stark reduzierte antioxidative Kapazität haben. Wenn man diesen Kindern das wichtige antioxidative Molekül Glutathion gibt, kann man ihnen das Leben retten.
Welche Vorteile bietet die Region Mittelhessen für Ihre Forschung?
Prof. Katja Becker: Um neue Medikamente zu entwickeln, benötigt man quasi ein ganzes Arsenal an Methoden von der Zellkultur, zur Molekularbiologie, zur Synthetisierung der neuen Wirkstoffe. Alle diese Kompetenzen müssen sehr eng ineinandergreifen, damit die komplette Entwicklungskette effizient funktioniert. Dazu kommt dann der translationale Aspekt: Wenn man in die klinische Phase der Medikamententestung gehen möchte, braucht man idealerweise Partner aus der Wirtschaft, die sich für das Thema interessieren. Wir finden diese Kombination hier in der Region Hessen. Ein wichtiger Faktor ist auch das Interesse und das Engagement der Politik hier in Hessen für dieses Thema. Dazu ist die Region ein starker Wirtschaftsstandort und ein wichtiger Standort für die Pharma-Industrie. Im LOEWE-Zentrum DRUID haben wir zum Beispiel ein Konsortium mit 25 Arbeitsgruppen an verschiedenen Standorten in Gießen, Marburg, Frankfurt und Langen.
Was ist der Forschungsschwerpunkt des LOEWE-Zentrum DRUID?
Prof. Katja Becker: Wir arbeiten hauptsächlich an der tropischen Malaria und am Malaria Erreger Plasmodium falciparum. Daran sterben jedes Jahr weltweit immer noch etwa eine halbe Million Menschen, darunter fast ausschließlich Kinder unter fünf Jahren. Wir versuchen beim Malariaerreger neue Zielmoleküle für die Medikamentenentwicklung zu charakterisieren. Zum Beispiel klären wir die dreidimensionale Struktur der Enzyme, die für das Überleben des Parasiten essenziell sind, um dagegen sehr spezifisch Hemmstoffe zu entwickeln. Wir wollen eine Achillessehne des Parasiten erwischen. Das ist, was man unter rationale Medikamentenentwicklung versteht.
Was sind die wichtigsten Aspekte, damit solche Projekte auch künftig erfolgreich sind?
Prof. Katja Becker: Ich wünsche mir, dass wir unsere Netzwerke sowohl national als auch international weiter ausbauen können. Zur Zeit stehen wir vor sehr großen und komplexen globalen Herausforderungen, wie dem Klimawandel und den Migrationsströmen. Diese sind eigentlich nur in einem internationalen oder globalen Kontext überhaupt zu bearbeiten. Wenn man an die vernachlässigten tropischen Infektionskrankheiten denkt, über die wir im LOEWE-Zentrum DRUID arbeiten, betreffen diese Erkrankungen mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt. Das ist einfach eine globale Lage, die auf uns zukommt und auf die wir uns sehr sehr gut vorbereiten müssen. Die Aufgabe von uns Wissenschaftlern in diesem Kontext ist es Studien durchzuführen, Ergebnisse zu liefern und der Politik beratend zur Seite zu stehen. Deswegen hoffe ich, dass wir viele neue Ziel-Moleküle für die Medikamentenentwicklung identifizieren und charakterisieren können und dadurch unsere Projekte Marktreife erlangen und letzendlich den Patienten zugute kommen. Um die Langfristigkeit solcher Projekte zu gewährleisten, brauchen wir einerseits Forschungsmittel und andererseits einen sehr guten wissenschaftlichen Nachwuchs. Nur durch die enge Vernetzung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und durch Kooperation werden wir in der Lage sein die globalen Problemen zu lösen, mit denen wir im Moment konfrontiert sind.
Lesen Sie als Ergänzung zu diesem Interview auch diesen Beitrag.
Hören Sie auch unsere Podcast-Folge mit Prof. Becker: Vernachlässigte Tropenkrankheit: Malaria.