mRNA-Impfstoff aus Marburg: „Der Standort ist voll ausgestattet“

Um der gestiegenen weltweiten Nachfrage gerecht zu werden, planen wir, im Jahr 2021 zwei Milliarden Dosen unseres COVID-19-Impfstoffs herzustellen. Dafür werden wir die zuvor geplante Produktion von 1,3 Milliarden Impfdosen um mehr als 50 Prozent steigern. Aber auch das europäische Produktionsnetzwerk hat sich kontinuierlich erweitert – als wir unsere ersten Zulassungen erhielten, auf aktuell 13 Partner, einschließlich des Werks Marburg. Dafür hat BioNTech eine Herstellerlizenz erhalten, die Produktion kann dort für die Validierung durch die EMA gemäß unserer Planung im Februar beginnen. Healthcare Mittelhessen fragt nach bei BioNTech-Firmengründer Ugur Sahin und Sierk Poetting, Finanzvorstand und operativer Geschäftsführer bei BioNTech:

Foto: BioNTech

Warum fiel die Wahl auf den Standort Marburg?

U. Sahin: Wir mussten unsere Produktionskapazitäten so schnell wie möglich erweitern – dafür ist es natürlich perfekt, wenn man einen Standort findet, der bereits voll ausgestattet ist und dazu noch 300 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Nach Abschluss der Transaktion konnten wir sofort einziehen, die Infrastruktur ist hervorragend. Zudem bestehen am Standort Behringwerke zusätzliche Erweiterungsmöglichkeiten. All das war ideal für uns. Hinzu kommt der historische Hintergrund – wir wollen die Geschichte des Standorts, der ursprünglich von Emil von Behring gegründet wurde, der mit seinen Entwicklungen Millionen Menschen weltweit geholfen hat, fortschreiben. Außerdem gibt von hier aus exzellente Verkehrsanbindungen. Der Frankfurter Flughafen ist in einer Stunde zu erreichen, das ist für die Distribution entscheidend. Und bis zu unserem Hauptsitz in Mainz sind es auch nur eineinhalb Stunden, das ist gerade für den Transfer von Technologie und Mitarbeitern ein wichtiger Aspekt.

Wie ist der aktuelle Stand in Marburg?

S.Poetting: Im Februar werden wir die Produktion für die Validierung durch die EMA gemäß unserer Planung beginnen. Wir haben die Produktion dort in einer Rekordzeit von fünf Monaten aufbauen können. Ein Grund dafür: Personal und die Voraussetzungen für die Herstellung biochemischer Medikamente waren dort bereits schon gegeben. Normalerweise dauert das ein- bis eineinhalb Jahre. Im ersten Halbjahr 2021 wollen wir in Marburg 250 Millionen Impfdosen herstellen. Bei vollem Betriebsumfang wird die Produktionsanlage BioNTechs COVID-19-Impfstoff-Produktionskapazitäten um bis zu 750 Millionen Dosen pro Jahr oder mehr als 60 Millionen Dosen pro Monat erweitern.

Wie wird die Produktion dort laufen?

U.Sahin: Wir planen hier drei der vier Schritte der Impfstoffproduktion: erstens die Herstellung der Boten-RNA, zweitens die Arzneimittelaufbereitung und -konzentration sowie drittens das Formulieren, dabei wird die mRNA mit lipiden Nanopartikeln zum fertigen Impfstoff gemischt. Das Abfüllen wird dann an einem anderen Standort stattfinden.

Was zeichnet die RNA-Impfstoffe eigentlich aus?

In den letzten zehn Jahren hat sich mRNA zu einer vielversprechenden neuen Klasse von Medizin entwickelt, mit dem Potenzial, eine Vielzahl von Krankheiten mit hohem medizinischen Bedarf zu behandeln. mRNA-Impfstoffe basieren auf Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) und sind eine neuartige Technologie, die die körpereigene Immunantwort stimuliert. Diese Impfstoffe enthalten Informationen aus der mRNA, darunter den „Bauplan“ eines bestimmten Virusmerkmals (Virusantigen). Anhand der Informationen kann der Körper dieses Antigen selbst produzieren: Die mRNA überträgt die Informationen für die Produktion des Antigens an unsere Zellmaschinerie, die Proteine herstellt. Zellen in unserem Körper präsentieren dann das Antigen auf ihrer Oberfläche und lösen dadurch die gewünschte spezifische Immunantwort aus. Wenn der Körper mit dem Virus in Kontakt kommt, erkennt das Immunsystem das spezifische Antigen und kann das Virus und somit die Infektion schnell und gezielt bekämpfen. Zudem kann mRNA in einem relativ kurzen Produktionszyklus hergestellt werden. Das ermöglicht die Produktion großer Mengen eines Impfstoffs innerhalb kurzer Zeit.

Sind auch weitere Nutzungsmöglichkeiten des Standorts vorstellbar?

Wir sehen vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. Das Produktionsgebäude ist sehr modern, hier gibt es Bioreaktoren, Zellkultur-Labore und Lagermöglichkeiten sowie hervorragend ausgebildete Mitarbeiter, die alle wichtigen Arten von biologischen Prozessen kennen. Deshalb hat dieser Standort für uns nicht nur Potenzial für die Impfstoff-Herstellung, sondern auch für unsere anderen Schwerpunkte wie Zell- und Gentherapien, virale Vektoren sowie Antikörper- und Krebstherapien.

Firmenporträt

BioNTech

 

BioNTech wurde 2008 gegründet und ist ein seit Ende 2019 börsennotiertes deutsches Biotechnologieunternehmen mit Sitz in Mainz. Es hat sich auf die Entwicklung und Herstellung von aktiven Immuntherapien für einen patientenspezifischen Ansatz zur Behandlung von Krebs und anderen schweren Krankheiten fokussiert. Die Schwerpunkte von Biontech liegen in der Erforschung von Medikamenten auf mRNA-Basis. Diese kommen für den Einsatz als individualisierte Krebsimmuntherapien, als Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten und als Proteinersatztherapien bei seltenen Erkrankungen infrage. 

Schreibe einen Kommentar