Gentherapie setzt an der Ursache an

Marburg. Eine Gentherapie bietet Patienten mit einer genetischen Erkrankung Aussicht auf Heilung. 19 Gentherapien sind weltweit bereits zugelassen, mehr als 2.500 klinische Studien prüfen aktuell weitere Ansätze. Auch CSL Behring arbeitet auf diesem Gebiet, um Patienten mit schweren und seltenen Erkrankungen zu helfen.

Ärzte möchten Menschen helfen, das Leben ihrer Patienten verbessern oder diese im besten Fall sogar heilen. Doch bisweilen stößt die Medizin an ihre Grenzen. Ärzte sitzen ihren Patienten hilflos gegenüber, weil sie die Ursache ihrer Erkrankung kennen, aber kein Mittel dafür parat haben. “Genau hier setzt die Gentherapie an”, sagt Vicky Pirzas, Geschäftsführerin CSL Behring Innovation GmbH und Vice President, Recombinant Product Development bei CSL. Bei vielen Erkrankungen ist die genetische Ursache bekannt, der Pathomechanismus womöglich bis auf molekularer Ebene entschlüsselt. Aber bislang gibt es für die Patienten keine Therapie, kein Medikament. Einzig ihre Symptome können bekämpft werden.

“Da bereits seit mehr als 50 Jahren an Gentherapien geforscht wird, können Patienten auf eine potenzielle Heilung hoffen”
Vicky Pirzas
Geschäftsführerin CSL Behring Innovation GmbH und Vice President, Recombinant Product Development bei CSL

Eine Gentherapie setzt an der Wurzel einer genetischen Erkrankung an, indem eine korrigierte Version eines defekten Gens in die Zellen des Patienten eingeführt wird, um eine therapeutische Wirkung zu erzielen. Forscher können zum Beispiel ein therapeutisches Gen in das Erbgut einbringen, ein defektes Gen ausschalten oder dessen Funktion verändern . “Da bereits seit mehr als 50 Jahren an Gentherapien geforscht wird, können Patienten auf eine potenzielle Heilung hoffen”, sagt Pirzas. Eine – in der Regel einmalige – intravenöse Infusion zeigt langanhaltende Wirkung, auch wenn bei manchen Methoden das künstlich integrierte Gen auf Dauer doch wieder verloren gehen kann. “Langzeitstudien laufen und werden nach unserem Wissen – unter anderem zur Wirkdauer – erweitern”, so Pirzas weiter. Wichtig zu wissen sei außerdem: Die genetischen Veränderungen betreffen nicht die Keimbahn und können daher auch nicht auf nachfolgende Generationen vererbt werden.

Jede genetische Erkrankung braucht ihre spezifische Gentherapie

Jede Gentherapie ist spezifisch für die Erkrankung, für die sie entwickelt wurde. Deshalb gibt es nicht die eine Gentherapie für alle. Stattdessen wenden die Wissenschaftler jeweils die Strategie an, die am ehesten erfolgversprechend scheint, je nachdem, welche Gene eine Erkrankung verursachen und welche Körperzellen betroffen sind. Der Gentransfer erfolgt entweder in vivo oder ex vivo mittels (viraler) Vektoren. Bei der in vivo Methode gelangt das Gen zwar in den Zellkern, wird aber nicht in das Erbgut integriert. Die Zelle beginnt trotzdem, die Eiweißmoleküle gemäß dem neuen Bauplan (Transgen) zu produzieren. Sie verhält sich nun so, als hätte sie die genetische Erkrankung nicht. Bei der ex vivo Methode wird das neue Gen hingegen zunächst außerhalb des Körpers in das Erbgut der Zellen eines Patienten stabil integriert. Die Zellen werden zuvor entnommen und anschließend wieder infundiert, so dass die Ausprägung der Krankheit im Wesentlichen beseitigt ist.

Die verschiedenen Ansätze der Gentherapie nutzen auch unterschiedliche Vektoren für den Gentransfer. “Die gängigsten Vektoren sind Adeno-assoziierte virale (AAV) Vektoren, Adenoviren und Lentiviren”, erklärt Holger Laux, Director, Viral Vector Process Development bei CSL. Viren werden deshalb so gern als Vektoren genutzt, weil diese Dank ihrer Hülle in Zellen eindringen und ihnen ihr Erbgut einschleusen können. “Wir haben die Viren so verändert, dass sie sich nicht mehr vermehren und ausbreiten können, also nicht mehr infektiös sind”, sagt Laux. Das Virus-Erbgut ist weitgehend entfernt und durch das therapeutische Gen ersetzt. Das Virus dient lediglich noch als Transporter für den Bauplan.

“AAV-Vektoren sind die derzeit am häufigsten für einen in-vivo-Gentransfer verwendeten Vektoren”, erklärt Laux. Vorteil sei, dass sie beim Immunsystem vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erregten. Die zahlreichen AAV Serotypen erlauben die Einschleusung des therapeutischen Gens in praktisch allen Gewebetypen. Die AAV-Vektoren schleusen das Gen nur in die Zelle ein, integrieren es aber nicht ins Erbgut. Daher geht das Gen bei der nächsten Zellteilung wieder verloren, weshalb das Ziel in erster Linie Gewebe ist, deren Zellen sich nicht mehr oft teilen. “Auch ist der Platz in ihnen sehr beschränkt, weshalb sie in der Regel nur bei genetischen Erkrankungen eingesetzt werden, bei denen die defekten Gene klein sind”, schildert Laux auch den Nachteil der AAV-Vektoren. Adenoviren hingegen können laut Laux auch größere Transgene aufnehmen und das auch in viele unterschiedliche Arten von Zielzellen, aber: “Diese Vektoren lösen starke Immunantworten aus und sind deshalb weniger effektiv als AAVs.” Werden modifizierte Lentiviren als Vektoren genutzt, bleibt das Transgen funktionstüchtig auch in sich teilenden Zellen – und außerdem fällt die Immunantwort gering aus. Die Transgene bleiben lebenslang stabil, die Wirkung der Therapien hält fast unbegrenzt an. Lentiviren werden in erster Linie bei Zellen eingesetzt, die leicht aufgereinigt und dann wieder transplantiert werden können. “In erster Linie sind dies Blutzellen, und die Behandlung von Immunschwächen und die Bekämpfung von Krebs stehen hier im Vordergrund”, erklärt Laux. Auch hier muss also spezifisch die jeweils passende Methode ausgewählt und in klinischen Studien überprüft werden.

Weltweit zugelassene Gentherapien
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Bereits behandelte Patienten
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Laufende klinische Studien
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Von den weltweit bereits 19 zugelassenen Gentherapien sind drei AAV-basiert. Mehr als 10.000 Patienten wurden bereits mit verschiedenen Gentherapieprodukten behandelt. Die laufenden mehr als 2.500 klinischen Studien werden das Wissen und die Erfahrung über Gentherapien stets erweitern und Innovationen für Patienten mit seltenen und schweren Erkrankungen ermöglichen. Forscher von CSL Behring arbeiten dafür weltweit mit Wissenschaftlern an Spitzentechnologien, um medizinischen Fortschritt zu ermöglichen.

Dabei geht es vor allem um das Gene Editing, also wie die genetische Modifikation möglichst gezielt und kontrolliert durchgeführt werden kann. Denn das erhöht die Sicherheit und Wirksamkeit dieser neuen Methoden für die Patienten. “Es wurden neue Verfahren wie CRISPR entwickelt, die mit chirurgischer Präzision direkt am Genom ansetzen. Diese Nukleasen schneiden das Erbgut an genau definierten Stellen und bauen präzise die gewünschten Basensequenzen ein. Versuche haben gezeigt, dass fehlerhafte Genabschnitte, wie sie auch bei menschlichen Erbkrankheiten auftreten, durch das Editieren von Genen entfernt und die entsprechenden Krankheitsbilder behandelt werden können. Die Methode könnte daher gut geeignet sein zum Beispiel Erbkrankheiten behandeln zu können, bei denen ein oder mehrere Gene nicht richtig funktionieren”, erklärt Pirzas. CRISPR ist ein flexibles Werkzeug, mit dem verschiedene Bakterien Schäden an ihrer eigenen DNA beheben. Dabei werden Fehler erkannt und die entsprechenden Regionen repariert. Zwar sind noch keine Produkte für die kommerzielle therapeutische Anwendung zugelassen, die Methode wurde aber in klinischen Studien bereits an mehr als 100 Patienten zur Behandlung von Erkrankungen getestet und die erste CRISPR-Therapie wurde bei der amerikanischen FDA zur Zulassung eingereicht. Auch CSL Behring möchte laut Pirzas auf diesem Gebiet vorankommen: “Wir forschen hier an Innovationen, die auf das Wohlergehen von Patienten ausgerichtet sind.” Anfang dieses Jahres wurde eine vektorbasierte Gentherapie (AAV), die von CSL Behring in einer klinischen Phase-3-Studie getestet wurde, von der Europäischen Kommission genehmigt.

Zugelassene Gentherapien

Die erste Therapie mittels In-vivo-Gentransfer wurde 2012 in Europa zugelassen. In vivo-Gentransfer ist beispielsweise bei der Leberschen kongenitalen Amaurose (eine bestimmte Netzhautdystrophie) oder der spinalen Muskelatrophie zugelassen. Der erste Ex-vivo-Gentransfer wurde 2016 in der Europäischen Union zugelassen. Dieser Ansatz wird bei zahlreichen zugelassenen Gentherapien genutzt. Beispielsweise bei solchen zur Therapie des schwarzen Hautkrebses (Melanom), der akuten lymphatischen Leukämie (ALL) und der ß-Thalassämie.