Medizinisches Cannabis: Letzte Rettung bei chronischem Schmerz

Cannabis ist mehr als ein Rauschmittel. Die Pflanze lindert Schmerzen bei chronisch kranken Patienten, bei denen reguläre Therapieansätze nicht mehr helfen. Seit 2017 dürfen Ärzte auch in Deutschland medizinisches Cannabis legal verschreiben. Birgt der legale Cannabiskonsum ein Abhängigkeitsrisiko?

(Credit: CBD-Infos-com / pixabay.com)

Schmerzfrei sein. Das ist oft der einzige Wunsch von Patienten, die schon seit Jahren unter chronischem Schmerz leiden – wie zum Beispiel im Zuge einer Multiplen Sklerose (MS). Chemische Schmerzmittel helfen zwar, sind aber keine Dauerlösung. Sie können starke Nebenwirkungen hervorrufen und greifen mit der Zeit die Organe an. Seit den 90er Jahren ist medizinisches Cannabis vermehrt ins Interesse der klinischen und experimentellen Forschung gerückt, weil es effektiv und schonend Schmerzen lindert. Interessant für die Mediziner sind bei der Schmerzbehandlung die Cannabinoide der Hanfpflanze. Sie zeigen eine positive Wirkung auf das endocannabinoide System des Menschen.

Das endocannabinoide System des Menschen

Cannabinoide sind chemische Botenstoffe mit vielfältiger Wirkung auf Lebensfunktionen. Diese kann der menschliche Körper teilweise selbst produzieren – in Form von Endocannabinoiden –  oder von außen zu sich nehmen, beispielsweise durch den Konsum von Cannabis. Der menschliche Körper besitzt zwei Typen von Cannabinoid-Rezeptoren: Typ 1 und Typ 2. Die Typ-1-Rezeptoren befinden sich im zentralen Nervensystem. Sie sind besonders relevant bei der Erforschung von Cannabinoiden im Einsatz bei Nervenschädigungen und neurodegenerativen Erkrankungen, wie Demenz oder Parkinson. Die Typ-2-Rezeptoren kommen beim Menschen vor allem im Immun-, Verdauungs- und Fortpflanzungssystem vor. Sie befinden sich jedoch auch in hormonalen Drüsen, in Augen, Knochen, Haut und Lunge. Die Endocannabinoide, die der menschliche Körper selbst herstellt, wirken ähnlich wie die pflanzlichen Cannabinoide: Sie docken an die gleichen Rezeptoren an und entfalten dort ihre Wirkung.

Bestimmte Cannabinoide steigern den Appetit und lindern Übelkeit, auch im Zuge einer Chemotherapie. Bei chronisch-entzündlichen Krankheiten lindern sie Schmerzen und unterdrücken Spastiken und Tics, so wie beim Tourette Syndrom. Selbst nach anhaltenden Schmerzen einer Virusinfektion, wie der Gürtelrose, erzielen die verschiedenen Wirkstoffe den gewünschten Effekt der Schmerzlinderung. 

Wirksubstanzen von medizinischem Cannabis

Auch in Mittelhessen erkennen Ärzte zunehmend die positive Wirkung von medizinischem Cannabis. Am Universitätsklinikum Gießen und Marburg verschreibt Dr. Hagen Maxeiner, leitender Oberarzt und Sektionsleiter der Schmerztherapie, seinen Patienten medizinisches Cannabis, wenn nichts mehr hilft. Er warnt aber auch davor, das Kraut nicht als Wundermitteln zu betrachten, denn auch dieses sei eben nicht frei von Nebenwirkungen.

Doch was unterscheidet medizinisches Cannabis von der Droge, die süchtig machen kann? Wichtig für medizinische Cannabis-Medikamente sind nur die Cannabinoide, die aus Hanfpflanzen extrahiert werden. Circa 500 Inhaltsstoffe enthält eine Pflanze. Dazu zählen neben Cannabinoiden auch Proteine, Aminosäuren, ätherische Öle und viele weitere. Sie alle können einen positiven Effekt auf den Körper haben und fördern das physische Gleichgewicht, die sogenannte Homöostase des Körpers.

Für die medizinische Verwendung von Cannabis sind die beiden Cannabinoide Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) entscheidend – allerdings in einem bestimmten Verhältnis. Denn THC birgt ein Abhängigkeitsrisiko, da es sich an die Typ-1-Cannabinoid-Rezeptoren (CB1) im Gehirn bindet und diese aktiviert. Die Aktivierung führt zur Ausschüttung von  Glückshormonen – was zur Sucht führen kann. Medizinisches Cannabis enthält deshalb einen hohen Gehalt an CBD. CBD blockiert die Bindung von THC an die Cannabinoidrezeptoren. Der Patient befindet sich deshalb nicht in einem Rauschzustand. Lediglich das CBD entfaltet dann seine entzündungshemmende und und schmerzlindernde Wirkung.

Die Anwendung von medizinischem Cannabis bedarf immer noch einer Ausnahmegenehmigung, auch wenn Ärzte es seit 2017 in Deutschland legal verschreiben dürfen. Es muss dargelegt werden, dass herkömmliche Therapieformen nicht zum gewünschten Erfolg verhelfen. Patienten bekommen ihre Arznei daraufhin individuell in der Apotheke zusammengestellt. Dabei gibt es keine einheitliche Dosierung – Cannabis wirkt bei jedem Menschen unterschiedlich.

Cannabis ist kein Wunderheilmittel, jedoch birgt das Kraut jetzt schon hohes Potenzial bei einer Vielzahl von Krankheiten, bei denen herkömmliche Schmerzmittel unwirksam sind. Vor allem in der klinischen Forschung erzielten Wissenschaftler bisher vielversprechende Ansätze – auch zur Bekämpfung von Demenz.

Cannabis gegen Demenz

In einer Studie der Uni Bonn und der Hebrew Universitiy in Israel konnten Forscher durch die Gabe von Cannabis den Alterungsprozess im Gehirn von Mäusen umkehren. Innerhalb von nur vier Monaten regenerierten die Gehirnzellen der Mäuse. Ihr Gehirn entwickelte sich in den Zustand von zwei Monate alten Jungtieren zurück: Das Lernvermögen und die Gedächtnisleistung nahm zu, die Wiedererkennung von Artgenossen fiel leichter. Denn: Das Gehirngewebe und die Genaktivität veränderte sich, die molekulare Signatur ähnelte wieder einem jungen Gehirn. Um den Zustand zu erreichen, bekamen die Mäuse über einen Zeitraum von vier Wochen den aktiven Inhaltsstoff THC der Cannabispflanze in geringen Dosen verabreicht. Dieser war so gering, dass eine Rauschwirkung ausgeschlossen war. Im Fachjournal „Nature Medicine“ wurden 2017 die Ergebnisse in der Publikation „A chronic low dose of delta9-tetrahydrocannabinol (THC) restores cognitive function in old mice“ vorgestellt. Im nächsten Schritt wird nun in klinischen Studien getestet, ob THC auch beim Menschen den Alterungsprozess im Gehirn stoppen – und die Leistungsfähigkeit wiederherstellen kann. Besonders interessant ist dieser Ansatz für die Erforschung von Demenzerkrankungen.

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