Forschung forcieren: Kinderdemenz frühzeitig erkennen

Die Waisen der Medizin – noch immer werden seltene Erkrankungen so genannt. Betroffene, gerade auch Kinder, haben kaum eine Chance auf Heilung, jahrelange Odysseen von Arzt zu Arzt und zahlreiche Fehldiagnosen sind häufig ihr Schicksal. Das neue Zentrum für Seltene Erkrankungen bei Kindern (ZSEGi) am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) bündelt neue Forschungsansätze mit Spezialistenwissen, um Krankheiten wie Kinderdemenz bestmöglich zu behandeln. 

Alzheimer Demenz: Die Diagnose hören vor allem ältere Menschen. Aber dass eine Demenz auch Kinder treffen kann, wissen die wenigsten. Denn Kinderdemenz ist eine seltene, tödlich verlaufende Krankheit. Hinter der Kinderdemenz, im Fachjargon Neuronale Ceroid Lipofuszinose – kurz NCL – genannt, verbergen sich eine Reihe von genetisch bedingten Demenzerkrankungen im Kindesalter. Und alle diese derzeit bekannten Gendefekte führen zu einem fortschreitenden Abbau von Nervenzellen. Das Krankheitsspektrum ist vielfältig. Aber alle Formen bringen dramatische Symptome mit sich: Erblindung, epileptische Anfälle, Demenz und motorische Problemen sind einige davon. Unterschiede machen nur Reihenfolge und Alter in dem die Symptome auftreten sowie das generelle Voranschreiten der Erkrankung. Kaum eines der betroffenen Kinder erreicht das 30. Lebensjahr. 

Die größte Herausforderung bei der Diagnose der Kinderdemenz – wie bei vielen seltenen Erkrankungen – ist, dass die initialen Symptome meist sehr unspezifisch sind: Meiste verfügen weder der Kinderarzt noch der Hausarzt über das nötige Spezialwissen, zu den individuellen Symptomen der rund 8.000 seltenen Erkrankungen. 

Seltene Erkrankungen

Als selten gilt eine Erkrankung, wenn weniger als 5 von 10.000 Personen betroffen sind. Ca. 8.000 seltene Erkrankungen sind bekannt. Mehr als 80% haben genetische Ursachen, häufig sind sie chronisch und lebensbedrohend. In Europa leben geschätzt 30 Millionen, weltweit 300 Millionen Menschen mit einer solchen Erkrankung. 75% der seltenen Krankheiten betreffen Kinder, rund 30% versterben vor dem fünften Lebensjahr. 

Zentrum für seltene Erkrankung in Gießen bietet kompetente Unterstützung

Diese Wissenslücke wollen die Spezialisten vom Zentrum für seltene Erkrankungen bei Kindern (ZSEGi) Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) schließen: Seit 2019 bündeln sie Fachwissen und Erfahrung in ihrem Zentrum. “Es geht darum, Patienten mit diesen sehr seltenen Erkrankungen in einer Region zusammenzuziehen. Dann muss man nicht jedes Mal beim nächsten Patienten neue Erfahrungen sammeln. Und man kann auf ein Team zurückgreifen, dass sich mit diesen Krankheiten und auftretenden Problemen schon befasst hat”, erklärt Prof. Bernd Neubauer, Leiter des ZSEGi. Nicht zu unterschätzen sei außerdem eine psychosoziale Unterstützung, die das Zentrum neben der medizinischen Versorgung ebenfalls anbietet. 

Der Kinderneurologe behandelt mit seinem Team unter anderem pro Jahr rund 80 Kinder mit spinaler Muskelatrophie (SMA), einer seltenen Erbkrankheit, die zur Folge hat, dass sich seine Muskulatur nicht richtig ausbilden kann. Unbehandelt haben die meisten Kinder eine Lebenserwartung von rund 18 Monaten. Heilbar ist die Erkrankung noch nicht, aber es gibt derzeit zwei Medikamente, die den fortschreitenden Verlust von Bewegungsfähigkeit aufhalten und somit Leben deutlich verlängern und Lebensqualität verbessern können.

Spezialisierte Zentren wie in Gießen sind nicht nur unmittelbar für die kleinen Patienten und ihre Familien von entscheidender Bedeutung, sondern auch für die Wissenschaft. Und allein in Deutschland gibt es zwar insgesamt vier Millionen Menschen, die von einer seltenen Erkrankung betroffenen sind -, der Großteil davon Kinder. Aber eben nur  nur wenige pro einzelner Erkrankung. Forschungsergebnisse zu Früherkennung, Krankheitsmechanismen und neuen Therapieoptionen haben dazu beigetragen, dass Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten bedeutend verbessert werden konnten.

Die größte Herausforderung bei der Diagnose der Kinderdemenz – wie bei vielen seltenen Erkrankungen – ist, dass die initialen Symptome meist sehr unspezifisch sind: Meiste verfügen weder der Kinderarzt noch der Hausarzt über das nötige Spezialwissen, zu den individuellen Symptomen der rund 8.000 seltenen Erkrankungen. 

Neuer Therapieansatz im Kampf gegen Kinderdemenz

Seit 2018 steht für eine spezifische Subform – die sogenannte spätinfantile NCL der Kinderdemenz eine Enzymersatztherapie zur Verfügung, die das Fortschreiten der Erkrankung wirksam eindämmen kann. Weitere befinden sich in einer Frühphase der klinischen Erprobung. Für die Kinderdemenz, wie für die meisten anderen seltenen Erkrankungen gilt, dass eine Behandlung am effektivsten sein wird, wenn sie so früh wie möglich eingeleitet wird. Idealerweise müsste eine Behandlung sogar vor Auftreten der ersten Symptome beginnen. Das unterstreicht die Wichtigkeit, ein geeignetes Neugeborenen-Screening zu entwickeln und einzuführen.

Zur Unterstützung der Forschung bei seltenen Erkrankungen und zur Verbesserung der Versorgung von Patienten und ihren Familien setzen sich inzwischen zahlreiche Vereinigungen und Stiftungen ein.  Auf den Webseiten von ACHSE e.V. (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen)  sowie die speziell für Kinder mit seltenen Erkrankungen gegründete Care-for-Rare Foundation und die Stiftung Kindness for Kids finden Betroffene eine Vielzahl von Informationen und Vernetzungsmöglichkeiten. Mit ihrer Mission „Für eine Zukunft ohne Kinderdemenz“ kümmert sich die NCL-Stiftung.

Firmenporträt

Zentrum für Seltene Erkrankungen in Gießen (ZSEGi)

Das Zentrum für Seltene Erkrankungen in Gießen (ZSEGi) wurde im August 2019 eingeweiht. Das Ziel ist die Bündelung von Patienten mit selten Erkrankungen. Hier steht der Erfahrungsaustausch und das Fachwissen durch ein kompetentes Team im Vordergrund.

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