Im Notfall digital vernetzt

Ob Schlaganfall, Herzinfarkt oder Autounfall – für Betroffene zählt jede Minute. Denn es kann Leben retten, wenn Sanitäter und Klinikärzte ohne Zeitverlust agieren können. Dafür braucht es beispielsweise EKG-Daten, die sofort für alle verfügbar sind.
Die Experten der CRS medical GmbH, ansässig im mittelhessischen Aßlar, haben mit Medgate ein Portal dafür geschaffen – und arbeiten an einem Wearable gepaart mit Künstlicher Intelligenz.

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Wer einen Unfall erlebt, steht meist unter Schock. Alles scheint wie in Zeitlupe abzulaufen. Für die alarmierten Rettungskräfte beginnt dagegen mit dem Eingang des Notrufs ein Wettlauf gegen die Uhr. Vor ihrem Eintreffen ist unklar, wie es dem Patienten geht und wie schnell er welche Behandlung braucht. Erst wenn die Ersthelfer mit ihrem medizinischen Equipment vor Ort eingetroffen sind, können sie sich ein genaues Bild von dem Gesundheitszustand des Betroffenen machen.
„Ein zentrales Gerät in der Notfallversorgung ist der Defibrillator“, erklärt Dr. Patrick Uhr, Director Data & Products bei der CRS medical GmbH in Aßlar. „Die meisten von uns kennen den sogenannten Defi zu Wiederbelebungsmaßnahmen bei einem Herzstillstand. Aber das Gerät dient auch der Diagnostik, also zur Aufnahme von EKGs. Moderne Geräte können auch die Sauerstoffsättigung,den Blutdruck und weitere Vitaldaten messen”, sagt Uhr. All das sind wichtige erste Daten, die die Rettungssanitäter direkt vor Ort einsammeln – und die später wichtige Anhaltspunkte für die Wahl der richtigen Therapie des Patienten sind. Je schneller diese Informationen in der Klinik und bei den behandelnden Ärzten eintreffen, desto besser für den Betroffenen. Genau an dieser Stelle kommt das CRS medical-Team um Uhr ins Spiel.
Sie haben Medgate – gemeinsam mit ihrer Tochterfirma Avetana GmbH  – entwickelt: eine elektronische Patientenakte.
„Denn die gemessenen EKG-Daten sind ja erstmal nur auf dem Defi gespeichert – und für die Ärzte im Krankenhaus nicht einsehbar. Ist das Gerät dagegen mit Medgate gekoppelt, erhalten sie zu diesen wichtigen Erstinformationen einen direkten Zugang”, erklärt Uhr. Anhand dieser Daten können sich die Notfallmediziner im Krankenhaus besser vorbereiten, weil sie den Zustand des Patienten schon einschätzen können, bevor er eintrifft.

Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und Klinik verbessern

Dass sich Sanitäter und Ärzte optimal abstimmen, ist vor allem für die Akutbehandlung eines Betroffenen mit schweren Symptomen so wichtig, weil die Zeit meist gegen ihn läuft. Wenn der Rettungsdienst also bereits vom Notfallort aus dabei helfen kann, dass in der Klinik beispielsweise Kapazitäten für die Aufnahme von bildgebenden Verfahren geschaffen werden, kann dies lebensrettend sein. „Die Ärzte der betreuenden Klinik loggen sich einfach auf unserem zentralen Medgate-Server ein und sehen die EKG-Daten des Patienten. Das bedeutet, das Krankenhaus braucht keinen eigenen Server, sondern kauft entsprechend Lizenzen von CRS medical”, erklärt Uhr. „Wir bieten aber auch die Option, dass Medgate auf dem Server der Klinik implementiert wird.” In diesem Fall ist das Krankenhaus selbst für die IT-Infrastruktur zuständig und verantwortlich. Wird der zentrale Medgate-Server genutzt, übernimmt dies CRS medical.
Entwickelt wurde die elektronische Patientenakte bereits vor mehr als einem Jahrzehnt und sie wird stetig weiterentwickelt. CRS medical kümmert sich um Vertrieb und Service von Medgate. Vor allem die skandinavischen Länder Norwegen, Dänemark und Schweden setzen bereits auf das Portal. Das hängt auch mit den nationalen Vorgaben zusammen. „Dort wird jedes aufgenommene EKG an die entsprechende Klinik übertragen, weil das in diesen Ländern einfach Pflicht ist”, sagt Uhr. Der diplomierte Wirtschaftsinformatiker mit Promotion in Ingenieurwissenschaften arbeitet bereits seit sechs Jahren bei CRS medical und weiß: „Gerettet wird tatsächlich nicht überall gleich. Auch in Deutschland gibt es zwischen den Bundesländern und ihren Rettungsdiensten Unterschiede und Abweichungen von einem einheitlichen Schema.” 

Die Ärzte der betreuenden Klinik loggen sich einfach auf unserem zentralen Medgate-Server ein und sehen die EKG-Daten des Patienten. Das bedeutet, das Krankenhaus braucht keinen eigenen Server, sondern kauft entsprechend Lizenzen von CRS medical.
Dr. Patrick Uhr
Director Data & Products CRS medical GmbH in Aßlar

 

Einsatzprotokolle digitalisieren – und teilen

Zwar ist Medgate bereits in mehreren Ländern ein etabliertes System, dennoch gibt es für das Unternehmen immer wieder Herausforderungen zu meistern. Dazu zählte in den letzten zwei Jahren beispielsweise die Neuaufstellung des zentral gehosteten Systems. Den Grund dafür erklärt Uhr: „Wenn Updates ins Haus standen, haben wir aufgrund der deutlich gewachsenen Größe Instabilitäten beobachtet. Deswegen haben wir das System mit einer entsprechenden Backup-Lösung neu aufgesetzt.
Das musste zwar aufwendig und von langer Hand geplant werden, aber es hat sich absolut gelohnt”, sagt der CRS medical-Experte. „Wir konnten Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit deutlich erhöhen.” Aktuell arbeitet das Team um Uhr gemeinsam mit namhaften Medizinprodukte-Herstellern daran, auch Einsatzprotokolle nach dem Digitalisieren ebenfalls mit Medgate zu verknüpfen. Bislang zeichnen die Rettungsdienste dies oft klassisch auf Papier auf – mit den bekannten Nachteilen: Die analoge Variante lässt sich nicht so einfach mit den Klinikärzten teilen. Im digitalen Format lässt sie sich einfach an die Notaufnahme im Krankenhaus übermitteln. Die medizinischen und zeitlichen Daten helfen den Medizinern, sich optimal auf kritische Patienten vorzubereiten.

Das Wearable als Rettungsassistent

Die Übertragung von Daten und ihren Mehrwert an der Schnittstelle zwischen Rettungsdienst, Patient und Klinik spielt auch bei einem weiteren Projekt von Uhr und seinem Team eine Rolle: KIRETT. Die Abkürzung steht für Künstliche Intelligenz bei Rettungseinsätzen zur Verbesserung der Erstversorgung. Dabei will CRS medical „gemeinsam mit Partnern ein sogenanntes Wearable für den Rettungsdienstler entwickeln, also ein tragbares Gerät, das als Daten-Hub in der Größe einer Armbanduhr dient”, erklärt Uhr. Bei einem Notfalleinsatz gibt es rund um den Patienten mitunter verschiedenste Messgeräte, die EKGs, Blutdruck, Sauerstoffsättigung und noch weitere Vitaldaten aufzeichnen. „Das Wearable soll all diese Informationen sammeln, computerunterstützt durch Künstliche Intelligenz (KI) die vorliegende Notfallsituation erkennen und dem Rettungsteam dann vor Ort Handlungsempfehlungen geben können”, sagt der CRS medical-Experte. „Unsere Kernkompetenz sind die Schnittstellen, ähnlich wie bei Medgate, aufgrund unserer jahrelangen Erfahrungen in Sachen Telemetrie-Softwarelösungen.”
Die drahtlose Übermittlung der Daten an das Wearable in Echtzeit funktioniert über Bluetooth oder WLAN. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Richtlinie „KMU-innovativ: Forschung für die zivile Sicherheit“ geförderte Projekt startete im Juli 2021 und ist angelegt für drei Jahre. CRS medical ist Konsortialführer des Projekts. 

Im Notfall schneller und richtig entscheiden

„An dem Wearable forschen wir gemeinsam mit universitären Partnern. In diesem Fall ist das die Universität Siegen, die ihr Knowhow hinsichtlich KI und Machine Learning sowie den komponentenbasierten Systemarchitekturen und den Algorithmen zur Situationserkennung einbringt”, erklärt Uhr. Über die Jahre wurden bereits jede Menge Daten gesammelt, um jetzt damit Algorithmen zu trainieren. Ebenfalls beteiligt ist die mbeder GmbH, die eine energieeffiziente, zuverlässige und echtzeitfähige KI-Plattform für die Situationserkennung und die Handlungsempfehlungen im Wearable entwickelt.  „Es soll dann den Sanitätern anhand der gemessenen Vitalwerte die richtige Behandlung vor Ort vorschlagen und so die Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten erhöhen”, erklärt Uhr. Besonders motivierend ist, dass Rettungskräfte und medizinisches Personal aus dem Kreis Siegen als Anwender des Wearables bei der Entwicklung beratend zur Seite stehen.
„Wir merken, dass diese Konstellation viel bewegt – auch weil es sehr praxisnah ist. Wir bekommen sehr guten Input und alle Beteiligten engagieren sich enorm”, betont der CRS medical-Experte. Mit den Forschungsergebnissen soll die Grundlage für eine neue Produktfamilie geschaffen werden. Die Zertifizierung zum Medizinprodukt mit hoher Klassifizierung wäre auch für das Unternehmen in Aßlar ein Novum. Die Lernkurve zeigt steil nach oben. „Wir haben die Chance, ohne Vertriebsdruck langfristig etwas Neues aufzubauen und damit bietet das Projekt für unser Unternehmen auch eine Wachstumsperspektive”, blickt Uhr zuversichtlich in die Zukunft.

Die Verbreitung von Medgate in Europa.

Kontakt:

Juliane Frey
Director Digitalisation & Communication
E-Mail: Juliane.Frey@crs-medical.com